Was die Corona-Pandemie mich als Freimaurer lehrte…

WIEDER BEISAMMEN

Die Corona-Pandemie hatte eine Schneise in mein freimaurerisches Leben geschlagen. In das rituelle Erleben ebenso wie in die brüderliche Begegnung. Denn als das gesellschaftliche Leben heruntergefahren werden musste, schlossen auch die Logenhäuser ihre Pforten. Und es liegt in der Natur der Sache, dass weder das Eine noch das Andere online adäquat ersetzt werden konnte.

Ein halbes Jahr sollte es dauern, bis die Brüder meiner Loge und ich erstmalig wieder zusammenkommen konnten. Anlass sollte eine rituelle Tempelarbeit im ersten Grad, dem des Johannislehrlings, sein. Doch es war kaum noch etwas so, wie ich es über Jahre hinweg kennen und lieben gelernt hatte. Es fing damit an, dass wir den Tempel einzeln, mit Sicherheitsabstand und dem Tragen eines Mundschutzes zu betreten hatten. Und auch das Ritual an sich war an verschiedenen Stellen derart abgeändert worden, dass es dem Hygienekonzept der zuständigen Behörde gerecht wurde.

Daher fühlte sich dieses Ritual mit einem Mal wieder so neu und ungewohnt an. Den Brüdern und mir war die Unsicherheit bei Ausführung des Rituals förmlich anzumerken…

DER WICHTIGSTE FREIMAURERISCHE GRAD

Welcher freimaurerische Grad, welche freimaurerische Erkenntnisstufe ist die wichtigste? Diese Frage diskutierten vor längerer Zeit amerikanische Freimaurer auf Twitter. Da ich selbst auf Twitter diversen freimaurerischen Accounts aus dem Ausland folge, konnte ich diese Diskussion live mitverfolgen.

Alleine schon diese Fragestellung hat mich mehr als befremdet. Ich fand sie regelrecht abstoßend. Denn in ihr schwingt eine Bewertung, vielleicht sogar die Idee einer Hierarchie innerhalb der einzelnen freimaurerischen Grade mit. So nach dem Motto: Je höher, je geheimnisvoller oder je schwerer zu erreichen ein Grad ist, desto würdiger, auserwählter, wissender, erleuchteter oder was auch immer ist der, der diesen Grad inne hat. Diese Logik hat einen widerlich elitären Beigeschmack. Denn meiner Erfahrung nach erhält man in absolut keinem freimaurerischen Grad verborgenes Wissen, geheime Praktiken, ungeahnte Bewusstseinszustände, höhere Erkenntnis oder was auch immer offenbart, was man nicht auch komplett ohne das Freimaurertum samt seiner Rituale und Symbole erlangen könnte. Nichtsdestotrotz ist der freimaurerische Weg ein wohl einzigartiger initiantischer Weg, dessen Rituale und Symbolik sich aus den vielfältigen Traditionen der Baukunst, der Mysterienbünde, der Mystik, der Aufklärung, des Tempelrittertums, der Gnosis, des Humanismus, der Hermetik und der archaischen Initiationsriten (sicher ist diese Aufzählung nicht abschließend) speist. Unter Zuhilfenahme von Versatzstücken dieser Traditionen wird der Freimaurer in jedem Grad mit den essentiellen Fragestellungen dieses Lebens, seiner spirituellen Kreisläufe und Gesetzmäßigkeiten sowie des Sterbens und des Todes konfrontiert. Ich persönlich erlebe den freimaurerischen initiantischen Weg durch die einzelnen Grade, so wie ich ihn im christlichen Freimaurerorden vorfinde, als sehr stimmig und bewegend. Er weist unheimlich viele Facetten und Bedeutungsebenen auf und durchdringt nach und nach mein gesamtes Leben. Doch ich habe durch ihn absolut gar nichts kennengelernt, was ich nicht schon vorher gewusst hätte oder mir auch ohne das Freimaurertum hätte erschließen können. Aus diesen Gründen befremden mich Fragen, wie die, welche der wichtigste freimaurerische Grad ist, immer sehr.

Und dennoch ging mir diese Frage nach. Wenn man mich fragen würde, welches wäre für mich ganz persönlich der wichtigste Grad? Zu allererst käme mir hier meine Aufnahme in den dritten Grad, den des Johannismeisters, in den Sinn. Hier wurde ich in machtvoller Weise mit meinem eigenen Sterben und meinem eigenen Tod konfrontiert. In der Art und Weise, in der dieses Ritual im christlichen Freimaurerorden ausgestaltet ist, war es das bewegenste Ritual, das ich je erlebt habe. Doch auch der anschließende Weg in die Andreasloge und durch die Andreasloge hindurch (Grad vier bis sechs) war berührend und von der inhaltlichen Ausgestaltung her unheimlich reich und in sich stimmig.

Doch je länger ich über diese Frage nachdachte, desto mehr kristallisierte sich für mich heraus, dass der erste Grad, der des Johannislehrlings, für mich der wichtigste ist! Warum? Dafür muss ich ein wenig ausholen. Denn die Aufnahme in den Grad des Johannislehrlings an sich bewegte mich zwar, jedoch nicht in dem Maße, wie es viele Brüder mir im Vorherein vorgeschwärmt hatten. Und ebenso nicht in dem Maße, wie mich die Initiationen in die Grade ab dem Johannismeister bewegen sollten.

Das, was den Grad des Johannislehrlings für mich so besonders macht, ist die innere Einstellung und das Bewusstsein, was mit diesem Grad einhergeht, sofern man sich darauf einlässt. Es ist die innere Einstellung und das Bewusstsein des Lernenden. So stellte ich mich bewusst hinten an und nahm die Position des Beobachters ein. Ich schaute hin, ich hörte zu. Und ich hielt den Mund, wenn ich nicht gefragt wurde. Wie ein Schwamm sog ich alles auf, was mir an freimaurerischer Symbolik, an freimaurerischen Ritualen und an freimaurerischen Inhalten begegnete. Und dann konnte ich sie förmlich greifen, diese spannungsgeladene Vorfreude, die in der Luft lag, jedes Mal, wenn die Brüder zusammenkamen und sich für das Ritual maurerisch einkleideten. Es hatte etwas Geschäftiges und Erwartungsfrohes. Jedes Mal vor einer Tempelarbeit. Diese Einstellung des Lernenden brachte etwas Achtsames und Demütiges mit sich. Und befanden wir uns dann im Ritual, war alles neu. Jede Handlung, jedes gesprochene Wort, jede Haltung. Das alles war neu und fühlte sich dadurch so unsicher an. Diese innere Unsicherheit sollte über Monate hinweg mein Begleiter im freimaurerischen Ritual sein…

ERINNERUNG DURCH CORONA

…Ganz unwillkürlich verspürte ich genau diese Unsicherheit wieder, als wir nach der coronabedingten Pause erneut rituell zusammenkamen. Zwei Faktoren waren dafür verantwortlich: Die lange Pause sowie die Änderungen im Ritualablauf, die das Corona-Hygienekonzept notwendig gemacht hatte.

Doch je mehr ich ankam in dieser Situation, desto mehr stieg Erinnerung in mir auf. Erinnerung an die Zeit, in der ich genau diese Unsicherheit schon einmal verspürt hatte: Meine Zeit im Johannislehrlingsgrad, kurz nach meiner Aufnahme in die Bruderschaft der Freimaurer, als ich noch frisch gebackener Johannislehrling war.

Daher ist es genau das, was die Corona-Pandemie mich als Freimaurer gelehrt hat: Sie hat mich erinnert an die Einstellung und das Bewusstsein des Johannislehrlingsgrades. Denn sie hat mir ganz neu bewusst gemacht, dass es notwendig ist, ein Lernender zu bleiben. Klar, den Grad des Johannislehrlings habe ich hinter mir gelassen. Ein für alle Mal. Daher halte ich nicht viel von der Aussage „Ein Freimaurer bleibt sein Leben lang Lehrling.“ Denn dem ist faktisch nicht so. Was hingegen ein Freimaurer sein Leben lang bleiben sollte, ist ein Lernender.

Was macht das Freimaurer-Sein aus?

1. TEIL DER SERIE: „FREIMAUREREI ALS LEBENSEINSTELLUNG“ (GASTBEITRAG)

Was bleibt vom Freimaurertum? Wenn man diese ganzen freimaurerischen Äußerlichkeiten, die Ämter und Grade, die Hierarchien und Institutionen, die Etikette und das Elitäre und den ganzen Habitus, der daraus erwächst, wegnimmt, was bleibt dann noch vom Freimaurertum übrig? Was ist die freimaurerische Lebenseinstellung, der freimaurerische Lebensweg hinter alledem? Was am Freimaurertum hat Bestand, wenn man hinter dessen äußere Fassaden blickt? Seit einigen Monaten begleiten mich ebendiese Fragen. Und ich habe keine abschließende Antwort darauf.

Daher wuchs die Idee in mir, ganz unterschiedliche Feimaurerinnen und Freimaurer zu bitten, ihre Antworten zu diesen Fragen aufzuschreiben und auf meinem Blog zu veröffentlichen. Sie alle eint, dass ich sie als tiefgründig und inspirierend erlebe. Einige von ihnen kenne ich aus meinem tagtäglichen Leben, mit anderen wiederum habe ich mich bislang nur virtuell ausgetauscht. Zu einigen verbinden mich tiefe geschwisterlich freundschaftliche Beziehungen, andere erlebe ich aus der Ferne. Doch ich bin sehr gespannt, was sie dazu zu sagen haben. Über das Jahr verteilt will ich ihre Antworten auf diese Fragen nach und nach auf meinem Blog einstreuen.

Den Anfang dieser Serie macht ein Freund und Freimaurer-Bruder aus meinem persönlichen Umfeld, dem ich mich spirituell auf tiefe Weise verbunden weiß. Im April 2000 war er in die erste Erkenntnisstufe des christlichen Freimaurerordens aufgenommen worden und befindet sich mittlerweile seit einigen Jahren in der zehnten Erkenntnisstufe. Darüber hinaus möchte er keine weiteren Informationen über sich preisgeben. Ein Wunsch, den ich respektiere und dem gerne nachkomme.

WAS MACHT DAS FREIMAURER-SEIN AUS?

Die kleine Geschichte soll ein Einstieg sein:
Ein Mann blieb bei regnerischer Nacht mit seinem Auto liegen. Ein anderer hielt und nahm ihn mit zu sich nach Hause, organisierte den Transport des Autos in eine Werkstatt und gewährte dem Liegenbleiber kostenlos Logis bis zur Reparatur des Autos. Sie hatten viele und gute Gespräche. Dabei stellten sie fest, dass sie beide Freimaurer waren. Zum Abschied fragte der unfreiwillige Gast seinen Gastgeber: „Hast du das alles für mich getan, weil ich Freimaurer bin?“ Die Antwort: „Nein, ich habe das getan, weil ich Freimaurer bin.“

Der Weg des Freimaurers leistet im wesentlichen dreierlei:
1. unterstützt er die persönliche Entwicklung jedes einzelnen
2. bietet er im Leben Orientierung, einen Kompass für das eigene Verhalten
3. ist er darauf angelegt, dass man diesen Weg in Gemeinschaft geht.
Die beiden ersten Aspekte werden aus drei Wurzeln gespeist:
– eine historische
– eine ethische
– eine spirituelle Komponente
Nicht nur bei den einzelnen Lehrarten sind diese Aspekte unterschiedlich gewichtet, sondern auch jeder einzelne Bruder wird aus diesen Quellen in unterschiedlichen Anteilen schöpfen.

Was ist damit gemeint? Lessing hat geschrieben: „Freimaurerei war immer“. Ähnliche Rituale wie bei uns finden sich in vielen zum Teil uralten Einweihungszeremonien. Unsere Gebräuche speisen sich aus Quellen, die schon im alten Ägypten und noch früher praktiziert wurden. Freimaurer, die sich gerne in der Linie unserer Vorfahren verorten, betonen, dass die Tempelritter und auch der Benedektinerorden über das gleiche Wissen verfügten, wie die moderne Freimaurerei. Es gibt eine Linie von den Tempelrittern über die Bauhütten der Gotik bis hin zu unseren Ritualen. Allerdings ist diese Linie meines Erachtens wissenschaftlich noch nicht abschliessend belegt.

In jedem Fall spürt der sich an der Historie orientierende Bruder sich einer größeren Kraft verbunden. Aus der Gewissheit, in einer guten Tradition zu stehen, bekommt er Vorbilder. Seien es die Gebräuche der Tempelritter oder die großen Geister, die auch Freimaurer waren: zum Beispiel Goethe, Mozart oder auch preußische und österreichische Kaiser.

Zum zweiten erhält der Bruder ethische Leitlinien für sein Leben und hat damit Entscheidungshilfen und Verhaltensklarheit. Zum Beispiel durch die Tugenden, die im Lehrgebäude der Freimaurerei thematisiert werden und auch durch brüderliche Gespräche. (An dieser Stelle sei betont, dass die Freimaurerei keinerlei Dogmen beinhaltet. Jeder ist frei, aus dem Schatz der Lehre oder dem Kontakt mit anderen Brüdern das Seine zu nehmen). Die Tugenden, die in unserer Lehre angesprochen werden, sind ein Angebot. Der Bruder ist aufgefordert sich damit auseinander zu setzen.

Was heißt es zum Beispiel in seinem Leben das richtige Maß zu finden? Ich orientiere mich sehr gerne an dem Entwicklungsquadrat nach Schulz v.Thun. Es basiert auf der Annahme, dass jede Tugend eine ausgleichende Schwestertugend braucht, damit sie nicht in eine negative Übertreibung kippt. Z.B. braucht die Sparsamkeit die Schwestertugend Großzügigkeit, weil sie sonst Gefahr läuft zum Geiz zu werden. Die Großzügigkeit alleine könnte zur Verschwendung werden. Unsere Zusammenkünfte erinnern mich auch immer wieder daran in allen Dingen Einseitigkeiten, Extreme zu vermeiden.

Drittens erwächst ihm große Kraft daraus, dass er eine Idee entwickeln wird,
– woher er kommt und in dieses Leben gestellt ist.
– wer er ist und wie er von der Schöpfung gedacht ist.
– wohin er nach diesem Leben geht.
Daraus erwächst ein großes Vertrauen in das Leben und darin, in diesem Leben gut aufgehoben zu sein. In der Freimaurerei wird man sich nur wohl fühlen, wenn man daran glauben kann, dass es eine schöpferische, gestaltende Kraft im Universum gibt. Dem einzelnen wird die Freiheit gelassen, selbst zu entscheiden, wie er sich das vorstellt und wie er es nennt (Gott, Evolution, etc.).

Bei uns, in der christlichen Freimaurerei, halten wir darüber hinaus die Lehre Jesu Christi für richtig. Auf den Kern gebracht heißt es für mich: Das dreifache Liebesgebot (liebe Gott, liebe deinen Nächsten, liebe dich selbst) zu befolgen (jedenfalls mich darum zu bemühen).

Bei entsprechendem Glück wird ein Freimaurer das Geheimnis des Lebens erkennen, nicht mit deinem Verstand, sondern durch Erleben im Ritual. So ausgerüstet wird er dem Leben und seinen Mitmenschen anders begegnen. Unser Ritual bildet einen festen Rahmen. Gefüllt wird er durch das Gemeinschaftsleben. Erst in der Begegnung mit den Brüdern, im Austausch über das Erlebte kommt unsere Lehre zur vollen Anwendung. Niemand ist alleine unterwegs. Ich mag besonders gerne das Bild: „Leben einzeln und frei, wie ein Baum und dabei, brüderlich wie ein Wald.“ (H. Wader)

Initiation und Noviziat

Freitag, der 13.10.2017 war für mich persönlich ein ganz besonderer Tag. Es war der 710. Jahrestag der gewaltsamen Auflösung des Tempelritterordens. Und an diesem Tag haben wir einen Suchenden (einen Nicht-Freimaurer, der Freimaurer werden will), den ich als Paten begleite, im Rahmen einer rituellen Tempelarbeit in unsere Johannisloge „Carl zum Felsen“ aufgenommen. Das heißt, dass ich ihn auf seinem Weg ins Freimaurertum hinein und auch auf seinem Weg durch die ersten drei Johannisgrade des Freimaurertums im ganz besonderen Maße begleite und beistehe.

Wie der Zufall (sofern es ihn denn gibt) es so wollte, war ich an diesem Tag dran, im Rahmen dieser Tempelarbeit auch den Vortrag zu halten. Einen Vortrag, den ich ganz persönlich auf den Suchenden zuschneiden konnte und für den ich anschließend sehr positives Feadback erhalten habe. Daher will ich auf meinem Blog mal etwas Neues wagen und diesen Vortrag hier unverändert veröffentlichen (ich habe lediglich die Personalien des Suchenden durch „xxx“ ersetzt):

„Es hat Hände, die beschützen,
Hände, die heilen.
Was es sagt, ist unaussprechlich,
es lebt zwischen den Zeilen.

Es erträumte diese Welt,
ist Erbauer und Zerstörer.
Es ist der Atem allen Atems,
es bringt den Tod, doch ist kein Mörder.

Es nimmt Dich mit auf Reisen
in den Weltraum Deiner Seele.
Es lässt Dich nach Dir suchen,
lässt uns spüren, dass wir leben.

Es kennt jedes Geheimnis,
es redet, doch bleibt stumm,
es enthüllt nicht seine Wahrheit,
es bleibt Mysterium.“

Hochwürdiger Meister,
würdige und geliebte Brüder,
lieber Bruder xxx!

Die Zeilen, die ich gerade vorgelesen habe, kennst Du wahrscheinlich bereits. Sie stammen aus der Feder der Rockband „Böhse Onkelz“. Doch wovon singen sie, wenn sie Worte benutzen wie „Es ist der Atem allen Atems“, „Es nimmt Dich mit auf Reisen in den Weltraum Deiner Seele. Es lässt Dich nach Dir suchen, lässt uns spüren, dass wir leben“ oder „Es redet, doch bleibt stumm“, „Es bleibt Mysterium“?

Ich glaube, die Böhsen Onkelz versuchen da etwas in Worte zu fassen, was viel zu groß und viel zu umfassend ist, als dass man es mit Worten beschreiben könnte. Etwas, das mit dem Kopf nicht verstanden werden kann, sondern erlebt werden muss. Ich würde es als „Mysterium des Lebens“ umschreiben. „Das große Geheimnis des Lebens“.

Interessanterweise verfügten alle alten, vorinstitutionellen Kulturen über archaische Initiationsriten für ihre jungen Männer. Eine Aufgabe dieser Riten war es, den jungen Mann in genau dieses große Mysterium des Lebens einzuweihen.

Auch das, was Du, lieber xxx, hier heute erlebt hast, ist ein Initiationsritus. Du bist eingeweiht worden. Und das in zweierlei Weise. Zum einen bist Du aufgenommen worden in den christlichen Freimaurerorden. Zum anderen hast Du den ersten Schritt gemacht auf einem Initiationsweg, der sich über zehn Grade erstreckt. Ich gebe zu, man muss lange suchen, um zu den archaischen Wurzeln Deiner heutigen Initiation zu gelangen. Denn der Aufnahmeritus in den Freimaurerorden ist sehr gezähmt, sehr geordnet und mit Symbolik nahezu überfrachtet.

Als ich aufgenommen worden war, war ich ein wenig enttäuscht. Denn das rituelle Erleben hatte ich nicht als so mächtig erlebt, wie die Brüder es mir auf den Gästeabenden immer vorgeschwärmt hatten. Und dann war ich etwas überfordert von dieser Flut an Zeichenhandlungen und Symbolen, die da über mich hereingebrochen war. Ich fühlte mich, als säße ich vor einem großen Haufen Fragezeichen. Es waren eher einzelne, kleine Momente meiner Aufnahme, die mich berührt hatten und in mir noch nachklingen sollten.

Ich weiß nicht, lieber xxx, wie es Dir gerade geht. Nimm Dir Zeit, um das, was heute mit Dir passiert ist, sacken zu lassen. Bist Du enttäuscht von Deiner Aufnahme? Bist Du tief bewegt? Oder weißt Du noch gar nicht, wie Du Dich fühlen sollst? Das alles ist in Ordnung. Jede Emotion hat ihre Berechtigung.

Eine uneingeschränkte Zusage kann ich Dir allerdings machen: Egal wie Du Dich fühlst und egal, was Du auch fühlst: Ab heute bist Du Teil des christlichen Freimaurerordens. Das kann Dir keiner mehr nehmen. Punkt. Ich betone ganz bewusst, dass Du in einen Orden aufgenommen worden bist. Das hier ist kein humanistischer Philosophier-Club. Das hier ist ein geistlich-spiritueller Orden. Und dieser steht auf dem Fundament der Lehre Jesu Christi, wie sie im neuen Testament der Bibel überliefert ist und wie man sie auch im apokryphen Thomasevangelium wiederfindet.

Wenn Du diese Idee des „christlichen Ordens“ bis zu ihren Wurzeln zurückverfolgst, wirst Du irgendwann auf die christlichen Mönchsorden im Zeitalter der Romanik stoßen. Insbesondere der Orden der Benediktiner ist hier hervorzuheben. Denn unter anderem dieser Orden war es, der damit begann, sakrale Kloster-Bauten zu errichten. Und aus diesen bauenden Mönchen gingen schließlich die Bauhütten hervor, die die Sakralbauten des Mittelalters erschufen. Und von diesen wiederum hat das Freimaurertum einen Großteil seiner Bilder und Symbole übernommen.

Der andere Orden, auf den Du stoßen wirst, ist der Tempelritterorden. Der Logenmeister deutete dies an, als er Dich zum „Freimaurer-Ritter“ aufnahm. Es ist der Orden, der aus Mönchs-Rittern bestand. Dessen Anfänge eng mit dem salomonischen Tempel in Jerusalem verknüpft sind. Und exakt heute vor 710 Jahren ist er auf hinterhältige Weise vernichtet worden. Du, lieber xxx, warst es, der mich auf diese Bedeutung, die dem heutigen Tage innewohnt, aufmerksam machtests, als wir uns über Deine Aufnahme unterhielten. Und ich kann Dir versprechen: Je höher Du in den Graden des Freimaurerordens aufsteigst, desto mehr wird sich auch die Idee der christlich-spirituellen Ritterschaft des Templerordens herausbilden.

Doch jetzt bist Du im Grad des Johannislehrlings. Vergleicht man den christlichen Freimaurerorden mit besagten Mönchs- und Ritterorden, so hat für Dich heute Deine Zeit als Novize begonnen. Das heißt: Ordne Dich unter. Beobachte. Und stelle Fragen. Sei offen und lerne. Nutze den Grad des Johannislehrlings als Dein persönliches Noviziat. Lerne ein Lernender zu sein. Und bewahre Dir diese Fähigkeit für den Rest Deines Lebens.

Zwei Sachen sind von nun an besonders wichtig auf Deinem Weg: Das freimaurerische Ritual und die freimaurerische Literatur dazu. Das Ritual soll Deine emotional-intuitive Seite berühren und die Literatur Deine rational-verstandesgemäße. Herz und Verstand. Oder Gewissen und Vernunft, wie es hier im Ritual genannt wird. Nur, wenn Du auch diese beiden Seiten bedienst, wirst Du freimaurerisch wachsen.

Daher: Besuche das Ritual. Zunächst wird es sich noch ungewohnt, fremd und unsicher anfühlen. Doch mit zunehmender Dauer wirst Du in diesem Ritual ankommen und Dich in diesem Ritual heimisch fühlen.

Und: Lies, was Dir an Literatur an die Hand gegeben wird. Du wirst nachher ein Heft von Otto Hieber erhalten. Otto Hieber ist ein Bruder, der von 1840 bis 1930 lebte und sich die Mühe gemacht hat, unser Ritual und unsere Symbolik auszulegen. Es gibt Brüder, die sich davor drücken, den Hieber zu lesen und begründen dies gerne damit, dass dieser so kompliziert geschrieben sei. Ich kann Dir nur empfehlen, Dich auf den Hieber einzulassen. Denn er gibt Dir eine erste Ahnung davon, was wir hier im Ritual machen. Er gibt Dir die erste Richtung vor. Er gießt sozusagen das Fundament Deines freimaurerischen Weges. Und wenn das Fundament irgendwann gelegt ist, wirst Du feststellen, dass es noch andere Auslegungen des Rituals gibt, die ebenfalls ihre Berechtigung haben. Und Du wirst lernen, die Interpretationen des Hieber kritisch zu hinterfragen.

Doch am allerwichtigsten, lieber xxx, ist: Nimm Dir die Zeit und die Ruhe nachzufühlen, welche ganz eigenen Resonanzen Symbol und Ritual in Deinem Innern hervorrufen. Dies hat mindestens die gleiche Berechtigung, wie alles, was andere über das Ritual schreiben oder erzählen. Höre tief in Dich hinein.

Denn eins kann ich Dir hier und jetzt offenbaren: Alles, was Du heute äußerlich rituell erlebt hast und was Du auch später äußerlich rituell erleben wirst, ist letztendlich ein Bild für Vorgänge, die sich in Deinem Inneren vollziehen sollen. Symbol und Ritual drücken letztendlich einen inneren Weg aus.

Lieber Bruder xxx, es sind heute eine Menge Worte zu Dir gesprochen worden. Es sind Dir eine Menge Symbole begegnet. Und es sind eine Menge rituelle Handlungen an Dir vollzogen worden. Auf Deinem weiteren freimaurerischen Weg wirst Du Dir nach und nach erschließen, was da heute mit Dir passiert ist.

Drei Dinge habe ich mit meinen Worten in diesem Vortrag versucht, Dir mit auf den Weg zu geben. Nämlich:
– Gehe Deinen freimaurerischen Weg mit Emotion und Ratio, mit Gewissen und Vernunft, mit Herz und Verstand.
– Lerne ein Lernender zu sein und zu bleiben.
– Lerne, sämtliche Symbole und die Rituale als etwas zu verstehen, was sich in Deinem Inneren vollziehen soll.

Vielleicht wirst Du dann auf Deinem freimaurerischen Weg mit dem in Berührung kommen, was ich zu Beginn als „Mysterium des Lebens“ versucht habe zu umschreiben. Das, was die Böhsen Onkelz wie folgt umschreiben:
„Es nimmt Dich mit auf Reisen,
in den Weltraum Deiner Seele.
Es lässt Dich nach Dir suchen,
lässt uns spüren, dass wir leben.
Es kennt jedes Geheimnis,
es redet, doch bleibt stumm,
es enthüllt nicht seine Wahrheit,
es bleibt Mysterium.“

Oder wie die Böhsen Onkelz an anderer Stelle singen:
„Das Leben war die Antwort
und ich stellte viele Fragen,
und dieses endlose Geheimnis
hatte unendlich viel zu sagen.“

Es geschehe also!