Im Jahr 2020 ging ein verheißungsvoller, unter Freimaurern jedoch auch kontrovers diskutierter Stern am freimaurerischen Himmel auf: Die unabhängige Forschungsgesellschaft Wolfstieg-Gesellschaft. Sie betritt insofern Neuland, als dass sie sich mit ihrem Angebot sowohl an Nicht-Freimaurer*Innen, als auch an Freimaurer*Innen der verschiedenen Lehrarten und Erkenntnisstufen wendet. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie legte die Wolfstieg-Gesellschaft ein hohes Maß an Flexibilität und Innovation an den Tag, weil sie innerhalb kürzester Zeit eine große Bandbreite an regelmäßigen Online-Veranstaltungen auf die Beine stellte. Doch auch das analoge Angebot lässt sich sehen: Vorträge, Workshops, Kolloquien, Seminare und Bücherveröffentlichungen. Mitglieder erhalten jährlich zwei Bücher und zwei Online-Magazine. Parallel wird eine im stetigen Wachstum begriffene Online-Bibliothek aufgebaut.
Wenn Ihr mehr über die Wolfstieg-Gesellschaft erfahren wollt, stöbert gerne ein wenig auf deren Homepage. Wenn Ihr Interesse an ihrem Angebot habt, könnt Ihr Euch dort in entsprechende Verteiler aufnehmen lassen. In Zukunft werde ich auf meinem Blog immer mal wieder von den Veranstaltungen der Wolfstieg-Gesellschaft berichten.
Für Außenstehende wahrnehmbar vorangetrieben wird die Wolfstieg-Gesellschaft von den Freimaurern Giovanni Grippo und Markus Schlegel.
Markus Schlegel ist 1979er Jahrgang und seit 2014 Freimaurer. Seit mehreren Jahren bringt er sich an unterschiedlichen Stellen in seine Großloge „American Canadian Grand Lodge von Deutschland“ ein und wurde für sein Engagement wiederholt ausgezeichnet. Darüber hinaus arbeit(e) er als Mitautor, Lektor und Kommentator an der Veröffentlichung mehrerer freimaurerischer Publikationen mit.
Giovanni Grippo ist 1978 geboren und seit 2000 Freimaurer. Seitdem brachte er sich auf verschiedene Weise in seine Großloge „Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland“ (Christlicher Freimaurerorden) ein und bekleidete hier unter anderem die Ämter des Johannislogenmeisters sowie des Andreaslogenmeisters. Er ist Schriftsteller, der unter anderem diverse Bücher veröffentlicht hat, Verleger (Grippo Verlag) und Essayist. Sein ganz besonderer, persönlicher Schwerpunkt liegt in der jüdischen Mystik, der Kaballa.
INTERVIEW MIT MARKUS UND GIOVANNI:
Mit beiden habe ich mich unterhalten; gerade auch über die Fragen, in denen die Wolfstieg-Gesellschaft polarisiert.
Hagen Unterwegs:
„Was ist das Angebot der Wolfstieg-Gesellschaft?“
Markus Schlegel:
„Wir haben zum einen Angebote für Mitglieder, für Freimaurer/innen im jeweiligen Grad sowie Angebote für Nichtfreimaurer/innen. Jedes Mitglied erhält jedes Jahr mindestens zwei Bücher, zwei Online-Magazine und Zugang zu einer stetig wachsenden Online-Bibliothek. Zum anderen veröffentlichen wir Bücher nur für Freimaurer im jeweiligen Grad und veranstalten regelmäßige Online-Vorträge, Online-Instruktionen und Online-Workshops, sowie Präsenz-Kolloquien und noch mehr, wenn Corona es zulässt. Hierfür haben wir getrennte Einladungs-Verteiler für Freimaurerinnen, Freimaurer und gemischte Freimaurer sowie einen öffentlichen Verteiler für Nichtfreimaurer/innen.“
Hagen:
„An wen richtet sich die Wolfstieg-Gesellschaft?“
Markus:
“An jeden, der sich für die Freimaurerei, vergleichbare Organisationen und angrenzende Themen interessiert. An jeden, der die freimaurerische Diskussionskultur schätzt und erleben möchten.“
Hagen:
„Welche Lücke in der gesamten freimaurerischen Landschaft in Deutschland soll die Wolfstieg-Gesellschaft schließen?“
Markus:
„Die Wolfstieg-Gesellschaft e. V. ist kein Lückenfüller. Die freimaurerische Landschaft in Deutschland ist und war es im Grunde schon immer, eine Zusammenstellung der unterschiedlichsten freimaurerischen Systeme. Nicht nur, dass wir fünf verschiedene anerkannte Großlogen – eine weltweit einmalige Situation – in einem Land haben, sondern den Logen wird durch deren Großlogen, die Nutzung von mehreren Dutzend unterschiedlicher historischer Rituale ermöglicht. Hinzu kommen mehrere gemischte Großlogen und derzeit eine Großloge nur für Frauen. Die Wolfstieg-Gesellschaft möchte eine Brücke zwischen den Systemen bieten, sowie den Logen und Großlogen Handwerkszeug für die tägliche Arbeit in Form von Instruktionen, Vorträgen und Hilfestellungen zur Verfügung stellen.
Wir sehen unseren aktuellen Forschungsauftrag in der Gegenwarts- und Zukunftsforschung. Daher haben wir in den letzten 18 Monaten unterschiedliche Instruktionen und auch ein Konzept für Gästeabende ausgearbeitet. Im kommenden Jahr werden wir uns intensiv mit historischen Instruktionen aus dem 19. Jahrhundert und der Zukunft der Freimaurerei beschäftigen. Hier werden wir das ganze Jahr eine FM-EXPO 2022 mit Vorträgen, Diskussionen und Umfragen veranstalten. Alle Vorträge und Umfragen werden wir im Anschluss in einem EXPO-Buch veröffentlichen.
Hagen:
„Mögt Ihr hier einmal nachzeichnen, wie es zur Gründung der Wolfstieg-Gesellschaft gekommen ist?“
Giovanni Grippo:
„Anfang 2018 suchte eine kleine Gruppe von Freimaurerinnen und Freimaurern nach unabhängigen freimaurerischen Forschungsprojekten, die nicht bereits von anderen bereits existierenden Gesellschaften/Logen/Vereinigungen/Vereinen unterstützt wurden.
Ende 2019 entstand zudem der Wunsch, einen Verein zu gründen, der die freimaurerisch-wissenschaftliche Forschung fördert und die nichtfreimaurerische Öffentlichkeit über die Freimaurerei aufklärt, indem z.B. öffentliche Vorträge, Online-Meetings und Kolloquien veranstaltet werden. Es ging also um eine neutrale Plattform auf der sich Freimaurer und Nichfreimaurer auf Augenhöhe austauschen können. Schließlich nahmen Anfang 2020 Mitglieder dieser Forschergruppe an Online-Meetings der »V-Loge« teil. Denn Covid19 war ausgebrochen.
Daraus entstand zunächst eine Zusammenarbeit mit der Aufgabe, verschiedene in- und ausländische Forschungskreise, -gesellschaften und -logen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu bewegen und das durch die Unterstützung der »V-Loge«.
Die Wolfstieg-Gesellschaft ist damit kein Kind der Covid19-Pandemie, aber sie kam genau zur richtigen Zeit.
Hagen:
„Was waren die Motive, die zur Gründung der Wolfstieg-Gesellschaft führten?“
Giovanni:
Vorab möchte ich sagen, dass sich die Mitglieder nicht nur als Förderer der unabhängigen Forschung verstehen, sondern auch als Mitgestalter einer besseren und gemeinsamen Zukunft, die aus der Erforschung der Vergangenheit resultiert.
Wir sind 2018/2019 auch in Gesprächen mit Quatuor Coronati getreten. Es ging dabei um den Zirkel Baden-Kurpfalz. Dort hatten wir vor Gründung der Wolfstieg-Gesellschaft unsere Unterstützung in Bezug zum freimaurerischen Schlossgarten in Schwetzingen angeboten. Das wurde leider nicht angenommen.
Als sich im März 2020 zeigte, dass der Bedarf an Online-Meetings (Instruktionen, Vorträge und Vergleiche) stark anwachsen würde, entschieden sich die Gestalter der V-Loge und andere Logen-Teilnehmer dem Ganzen einen formellen Rahmen zu geben. Dabei stießen wir auf die freimaurerische Persönlichkeit August Wolfstieg und die »Wolfstieg-Gesellschaft« von 1913. Ihr Auftrag bettet sich in der Geschichte der damaligen Gesellschaft ein und stellte sich als perfektes Transportmittel für unseren heutigen Förder- und Forschungsauftrag.“
Hagen:
„Warum habt Ihr ausgerechnet den Namen Wolfstieg-Gesellschaft gewählt?
Giovanni:
“Wir wollten dem Freimaurer August Wolfstieg ein Denkmal setzen.
1899 wurde August Wolfstieg in die Loge „Pythagoras zum flammenden Stern“ in Berlin aufgenommen und bekleidete dort von 1901 bis 1904 das Amt des Vorsitzenden Meisters. 1901 hat er die erste Bibliothekarinnenschule gegründet und in seinem fünfbändigen Werk „Werden und Wesen der Freimaurerei“ (1920-1922) ein an Historizität zuvor nicht dagewesenes Gesamtwerk für die Nachwelt erarbeitet. 1926 wurde vier Jahre nach seinem Tod die ursprünglich 1913 gegründete Fördergesellschaft nach ihm benannt. Die Wiedergründung 2020 erfolgte in Gedenken an ihn und an sein Lebenswerk.“
Hagen:
„Im Zusammenhang mit dem Namen „Wolfstieg-Gesellschaft“, die ursprünglich 1913 gegründet und im Nationalsozialismus aufgelöst worden war, wurde die Kritik laut, dass Ihr Euch mit der (Neu-)Gründung dieser Gesellschaft im Jahr 2020 „ins gemachte Nest gesetzt“ habt und eine historische Kontinuität suggeriert, die es in der Form gar nicht gibt.“
Markus:
„Ja, das hat uns sehr überrascht. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Freimaurer kannten August Wolfstieg gar nicht, bevor die Gesellschaft wiedergegründet wurde. Schade finde ich, dass viele Kritiker häufig an keinem einzigen Vortragsabend teilgenommen haben. Ich würde mir wünschen, an unserer Leistung und nicht an unserem Namen gemessen zu werden. Über unsere Vorträge, Bücher und Handreichungen habe ich noch keine vergleichbare Kritik gehört.“
Hagen:
„Von dem Namenspatron Eurer Gesellschaft – Wolfstieg – sind Zitate überliefert, aus denen ein antisemitisches Weltbild spricht und die innerhalb der Freimaurerei eine intolerante Absolutierung der christlichen Richtungen gegenüber den humanistisch-aufgeklärten Richtungen erkennen lassen. In diesem Kontext nochmal meine Frage: Warum habt Ihr ausgerechnet Wolfstieg als Namensgeber gewählt?“
Giovanni:
„Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts fand bei den preußischen Großlogen (die über 80% der deutschen Freimaurer ausmachten) das „Nur-Christen-Prinzip“ Anwendung. August Wolfstieg war Mitglied der preußischen Großloge Royal York zur Freundschaft und vertrat damit eine zu der Zeit übliche Meinung. Diese Meinung hat sich längst überholt und die heutige Wolfstieg-Gesellschaft hat ein interreligiöses, interkulturelles, interkonfessionelles und öbedienzübergreifendes Angebot.“
Hagen:
„Was soll die Wolfstieg-Gesellschaft leisten, was nicht auch die etablierten Forschungslogen wie „Frederik“ und „QC“ leisten können?“
Markus:
„Ich würde lieber sagen, was wir leisten möchten. Wie bereits erwähnt, möchten wir kein Gegenangebot darstellen und streben Kooperationen an.“
Hagen:
„Grundsätzlich würde ich die Verantwortung, die Brüder freimaurerisch zu schulen, bei den Großlogen verorten. Wieso habt Ihr Euch mit der Wolfstieg-Gesellschaft nicht einer der bestehenden Großlogen angeschlossen?“
Markus:
„Das sehe ich nicht so. Die Aufgabe der Instruktion liegt bei der Loge und je nach System meist bei den Aufsehern oder dem Meister vom Stuhl. Die Großlogen wachen über das Ritual und schaffen organisatorische Strukturen. Ich kenne keine Großloge, die im größeren Stil selbst Instruktionen durchführt. Unser Ziel ist es, die Logen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Außerdem schaffen wir nur ein Angebot. Niemand ist verpflichtet unsere Veröffentlichungen zu lesen oder zu nutzen. Wie stellen den Logen und Großlogen auch die Instruktionen kostenfrei zur Verfügung.“
Hagen:
„Wie gewährleistet die Wolfstieg-Gesellschaft einen wissenschaftlichen Anspruch? Gibt es beispielsweise einen wissenschaftlichen Beirat oder anderweitige Qualitätskontrollen?“
Giovanni:
„Das seht in unserer Satzung unter §8, Punkt 6: „Der Vorstand wird bei wissenschaftlichen Vorhaben und Veröffentlichungen von einem Beirat unterstützt.“ – Wobei ich betonen möchte, dass die Wolfstieg-Gesellschaft hauptsächlich die unabhängige Freimaurerforschung fördert.“
Hagen:
„Wie ist das Verhältnis der Wolfstieg-Gesellschaft zu den Vereinigten Großlogen in Deutschland und den einzelnen Großlogen, die in der VGLvD organisiert sind?“
Markus:
„Als freimaurerische Forschungsgesellschaft, sehen wir uns als Partner der Großlogen. In den letzten 18 Monaten gab es ausschließlich positive Kontakte zur VGLvD. Wir würden uns eine engere Zusammenarbeit in Zukunft wünschen.“
Hagen:
„Wie ist das Verhältnis der Wolfstieg-Gesellschaft zu den etablierten Forschungslogen?“
Giovanni:
„Ich würde das erst einmal nur als eine Art Koexistenz bezeichnen. Im zweiten Schritt sieht man, wie ergänzend die Wolfstieg-Gesellschaft zu den etablierten Forschungslogen/-vereinigungen steht. Wir haben seit März 2020 über 300 Online-Meetings sowie 3 Präsenz-Kolloquien und 3 regionale Kolloquien durchgeführt. Die anderen haben sich eher auf traditionelle Treffen konzentriert. Die Wolfstieg-Gesellschaft beschreitet also neue und unkonventionelle Wege im Vergleich zu den etablierten Forschungslogen.“
Hagen:
„Was für Resonanz habt Ihr bislang auf die Gründung der Wolfstieg-Gesellschaft erhalten?“
Markus:
„Von den Teilnehmern der Kolloquien, Vortrags- und Instruktionsabenden haben wir ausschließlich positive Rückmeldungen erhalten. Das spiegelt sich auch in den stetig wachsenden Mitgliederzahlen wieder.“
Hagen:
„Was ist Eure Vision für die Wolfstieg-Gesellschaft? Wo wollt Ihr mit dieser Gesellschaft mal hin?“
Giovanni:
„Unsere Vision ist es, ein Netzwerk für die unabhängige Freimaurerforschung zu schaffen sowie dem Dialog zwischen Freimaurern und Nichtfreimaurern eine Plattform zu bieten. Wir möchten freimaurerische Werke, Kunst, Denkmäler, Gärten und Installationen wiederentdecken und erforschen, auch die, die in Vergessenheit geraten sind. Wir möchten durch die Gegenwartsforschung die Freimaurerei auch von Verschwörungstheorien und Diffamierungen befreien, die zurzeit im Umlauf sind.“
Hagen:
„Ich danke Euch für das Gespräch.“