Warum Freimaurer?

2. TEIL DER SERIE: „FREIMAUREREI ALS LEBENSEINSTELLUNG“ (GASTBEITRAG)

Was bleibt vom Freimaurertum? Wenn man diese ganzen freimaurerischen Äußerlichkeiten, die Ämter und Grade, die Hierarchien und Institutionen, die Etikette und das Elitäre und den ganzen Habitus, der daraus erwächst, wegnimmt, was bleibt dann noch vom Freimaurertum übrig? Was ist die freimaurerische Lebenseinstellung, der freimaurerische Lebensweg hinter alledem? Was am Freimaurertum hat Bestand, wenn man hinter dessen äußere Fassaden blickt? Seit einigen Monaten begleiten mich ebendiese Fragen. Und ich habe keine abschließende Antwort darauf.

Daher wuchs die Idee in mir, ganz unterschiedliche Feimaurerinnen und Freimaurer zu bitten, ihre Antworten zu diesen Fragen aufzuschreiben und auf meinem Blog zu veröffentlichen. Sie alle eint, dass ich sie als tiefgründig und inspirierend erlebe. Einige von ihnen kenne ich aus meinem tagtäglichen Leben, mit anderen wiederum habe ich mich bislang nur virtuell ausgetauscht. Zu einigen verbinden mich tiefe geschwisterlich freundschaftliche Beziehungen, andere erlebe ich aus der Ferne. Doch ich bin sehr gespannt, was sie dazu zu sagen haben. Über das Jahr verteilt will ich ihre Antworten auf diese Fragen nach und nach auf meinem Blog einstreuen.

Der zweite Text stammt von Stefan Szych. Wie ich Stefan ist Freimaurer und nach Richard Rohr initiiert. Er ist mir Bruder, Freund und Weggefährte. Stefan ist 1965er Baujahr, verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt im Hamburger Einzugsbereich. 2004 wurde er in die Johannisloge „Zur unverbrüchlichen Einigkeit“ des christlichen Freimaurerordens aufgenommen. Mittlerweile hat er die zehnte Erkenntnisstufe inne. Seit jeher engagiert Stefan sich sehr stark in den unterschiedlichen Abteilungen des Freimaurerordens. Beispielsweise ist er aktuell der wortführende Logenmeister (Ritualleiter) der Andreasloge „Concordia“ (Grad 4 bis 6) sowie „Bruder Redner“ in seiner Johannisloge (Grad 1 bis 3) und in seinem Ordenskapitel „Inviolabilis“ (Grad 7 bis 10). 2016 durchlief er die Männerinitiation nach Richard Rohr.

WARUM FREIMAURER?

Als Hagen mich vor ein paar Monaten fragte „Was ist Freimaurerei für Dich?“, war die Antwort klar: Lebenspraxis nicht Hobby

Warum?

Dazu muss ich etwas ausholen. Macht es euch also bequem und folgt mir durch mein freimaurerisch-spirituelles Leben.

Ein Hobby übt man aus, wenn es die Zeit zulässt. Freimaurerei ist immer. Sprich, sie beeinflusst alles, was ich tue. Und wenn ich mal nicht maurerisch handele, meldet sie sich irgendwann wieder als jene innere Stimme, die mir zuflüstert „War das jetzt ok so?“

Das war nicht immer so, denn geboren bin ich als Profaner. Niemand wird als Freimaurer geboren.

Dabei lernte ich, wie ich im Nachhinein feststelle, den ersten Freimaurer in meiner Familie kennen: Mein Opa. Er kein echter Freimaurer, lebte aber wie einer. Er war friedlich, ausgleichend, liebevoll und ein Mann, der Kompromisse mehr schätzte als die bedingungslose Konfrontation. In Glaubensfragen konnte er bestimmt sein, ohne jedoch Dogmen anzuhaften. Er war Calvinist, seine Frau katholisch. Probleme im Glauben? Nie. Die Form war egal, der Inhalt zählte.

Den nächsten Freimaurer traf ich als Reporter im Niedersächsischen Landtag: Er war ein harter Hund in der Politik, Fraktionschef, Wadenbeißer, aber nie ehrabschneidend. Dass er Freimaurer war, erfuhr ich erst, als ich selbst aufgenommen worden war.

In meiner tiefsten Krise, als ich arbeitslos war, fand ich die ersten Bücher des Franziskaners Richard Rohr. Sie nahmen mich sofort gefangen und ich machte mich auf die Suche nach einer Männergruppe. Es sollte eine Gruppe sein, in der ich mich mit Männern über Männerthemen austauschen konnte.

Nein, nicht eine dieser Auto- und Fußballgruppen. Es sollte um mich und meine Gefühle, meine Ängste aber auch Hoffnungen gehen.

Auf der Suche nach so einer Männergruppe fand ich zunächst eine Opfer-Gruppe. Vier Männer, die sich abwechselnd bei einem der Mitglieder trafen und redeten. Dabei war „reden“ war das falsche Wort: Sie suhlten sich in ihrem Leiden, ihrem Selbstmitleid und den Ungerechtigkeiten dieser ach so harten Welt, in der sie sich von allen herumkommandiert fühlten: Von den Chefs, den Umständen, ihren Frauen und Kindern. Nach zwei Treffen war für mich Schluss.

Es sollte zwei weitere Jahre dauern, bis ich den dritten Bruder traf. Es war ein Kollege, der sich mir offenbarte und mich dann eineinhalb Jahre auf die Aufnahme vorbereitete – arbeitsbegleitend sozusagen. Er wurde mein Pate, begleitete mich durch die ersten Jahre des Logenlebens intensiv und auch heute noch.

Was zeichnet diese Drei Männer aus?

Sie lebten, was sie lehrten.

Und alle drei waren es gläubige Männer, die kein Tamtam um ihren Glauben machten, sondern ihn in sich trugen, verwurzelt, ihn lebten wie das Atmen.

Nach meiner Aufnahme suchte ich meinen Platz in der Loge, durchlebte als Geselle die freimaurerische Pubertät, denn nach der ersten Aufnahme in einen neuen Grad wusste ich natürlich alles besser als die Brüder, die seit 30 Jahren und mehr Jahren Freimaurer waren.

Langsam fand ich meinen Platz, wurde Redner und erarbeitete mir, während ich die Vorträge für die Loge schrieb, mein Wissen über die Freimaurerei.

Es sollte zehn Jahre dauern bis bei mir der Groschen fiel: Nach einer gescheiterten Wahl zum Logenmeister erlebte ich eine tiefe Krise mit Zweifeln an mir, der Freimaurerei, den Brüdern, ja selbst an meinem Paten, der meine Wahl aktiv behindert hatte.

Ich dachte an Austritt.

Doch jede Niederlage trägt ihre Lehre in sich.

Denn parallel hatte ich mich mit einem Bruder, mit dem ich mich monatelang heftig gestritten hatte, ohne Aussprache versöhnt. Vergebung ist eine starke Macht, erfuhr ich aus dieser heilenden Begegnung. Und so wandte ich diese beglückende Erfahrung nach monatelangem Hadern mit mir und den Umständen in der Loge auch auf mein „Schicksal“ in der Loge an. Es folgte eine Aussprache mit dem Konkurrenten, eine Versöhnung und eine jahrelange sehr fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit für die Loge.

Und so wuchs ich, wie ich im Nachhinein feststelle, in dieser Zeit immer tiefer in die Freimaurerei hinein. Das erkannten offenbar andere Brüder und wählten mich ein Jahr nach meiner Krise zum Wortführenden Andreasmeister, also zu einem Logenmeister der zweiten Abteilung unserer Lehrart.

So ein Logenmeister wird immer vom obersten Beamten der Großloge eingesetzt und so kam es zu jenem denkwürdigen Tag: Der Landesgroßmeister rief mich im Tempel zu sich, ich kniete nieder für die Einsetzung – und war plötzlich in einer anderen Welt:
Es gab nur noch ihn, den Dreifach Großen Baumeister, und mich. Die Verbindung zwischen dem Bruder und mir war so intensiv, so vertraut, so selbstverständlich, dass ich dafür den Begriff „Initiation“ verwende.

Und es gab ein „Mehr“ als nur uns drei. Da war mehr als dieser Ort, dieser Raum, diese Stelle. Es war ein geheiligter Moment. Ich begriff, dass hier mehr geschah, als die offensichtliche Handlung. Ich wurde verwandelt, nicht heilig, nicht besonders. Nein, in mir wurde eine Tür aufgeschlossen, ein Vorhang beiseite gezogen, Licht auf den Weg geworfen…

Parallel las ich weiter die Bücher von Richard Rohr. Und ich ging noch einen Schritt weiter: Im Jahre 2016, zwölf Jahre nach meiner Aufnahme zum Freimaurer, wurde ich nach dem Ritual von Richard Rohr (MROP – Mens Rites of Passage) in Österreich initiiert.

Und dieses Ritual verbunden mit der jahrelangen Lektüre von Richards Büchern und den Erfahrungen aus der Freimaurerei, wirkten wie ein Brandbeschleuniger. Ich lebte plötzlich in einer Klarheit, einer Konsequenz, die mir fast schon unheimlich war.

Nein, ich bin nicht perfekt, ich bin kein Heiliger, nicht einmal fast. Ich bin immer noch auf der Suche, mache Fehler, versage, gehe Umwege oder in Sackgassen.

Aber ich kenne den Weg, weiß wie ich diese Suche möglichst sinnvoll und gottverbunden gestalten und wieder zurückfinden kann. Wenn ich mich verirre.

Ich erkannte in mir, dass es nicht um richtig oder falsch geht, sondern um das demütige Anerkennen dessen, was ist. Nicht fatalistisch oder resignierend, sondern heilend, und erleichternd:

Es ist hart ein Mensch zu sein, aber ich trage das, was ich tragen kann und soll.
Ich bin nicht wichtig, aber mein Name ist bei IHM notiert.
In diesem Leben geht es nicht um mich, jedoch ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern der Obermeister lebt in mir.
Ich habe nicht die Kontrolle, aber wer kann schon sein Leben um eine Handbreit verlängern?
Es stimmt: Ich werde sterben, aber nichts kann mich scheiden von der Liebe Gottes.

Kurz gesagt:

Freimaurerei hat mich auf den spirituellen Pfad meines Lebens geführt.
Dem gebe ich mich hin – als Mann, Ehemann, Vater, Kollege und Bruder – als ganzer Mensch.

Menschsein ist kein Hobby, es ist Lebenspraxis.

Was macht das Freimaurer-Sein aus?

1. TEIL DER SERIE: „FREIMAUREREI ALS LEBENSEINSTELLUNG“ (GASTBEITRAG)

Was bleibt vom Freimaurertum? Wenn man diese ganzen freimaurerischen Äußerlichkeiten, die Ämter und Grade, die Hierarchien und Institutionen, die Etikette und das Elitäre und den ganzen Habitus, der daraus erwächst, wegnimmt, was bleibt dann noch vom Freimaurertum übrig? Was ist die freimaurerische Lebenseinstellung, der freimaurerische Lebensweg hinter alledem? Was am Freimaurertum hat Bestand, wenn man hinter dessen äußere Fassaden blickt? Seit einigen Monaten begleiten mich ebendiese Fragen. Und ich habe keine abschließende Antwort darauf.

Daher wuchs die Idee in mir, ganz unterschiedliche Feimaurerinnen und Freimaurer zu bitten, ihre Antworten zu diesen Fragen aufzuschreiben und auf meinem Blog zu veröffentlichen. Sie alle eint, dass ich sie als tiefgründig und inspirierend erlebe. Einige von ihnen kenne ich aus meinem tagtäglichen Leben, mit anderen wiederum habe ich mich bislang nur virtuell ausgetauscht. Zu einigen verbinden mich tiefe geschwisterlich freundschaftliche Beziehungen, andere erlebe ich aus der Ferne. Doch ich bin sehr gespannt, was sie dazu zu sagen haben. Über das Jahr verteilt will ich ihre Antworten auf diese Fragen nach und nach auf meinem Blog einstreuen.

Den Anfang dieser Serie macht ein Freund und Freimaurer-Bruder aus meinem persönlichen Umfeld, dem ich mich spirituell auf tiefe Weise verbunden weiß. Im April 2000 war er in die erste Erkenntnisstufe des christlichen Freimaurerordens aufgenommen worden und befindet sich mittlerweile seit einigen Jahren in der zehnten Erkenntnisstufe. Darüber hinaus möchte er keine weiteren Informationen über sich preisgeben. Ein Wunsch, den ich respektiere und dem gerne nachkomme.

WAS MACHT DAS FREIMAURER-SEIN AUS?

Die kleine Geschichte soll ein Einstieg sein:
Ein Mann blieb bei regnerischer Nacht mit seinem Auto liegen. Ein anderer hielt und nahm ihn mit zu sich nach Hause, organisierte den Transport des Autos in eine Werkstatt und gewährte dem Liegenbleiber kostenlos Logis bis zur Reparatur des Autos. Sie hatten viele und gute Gespräche. Dabei stellten sie fest, dass sie beide Freimaurer waren. Zum Abschied fragte der unfreiwillige Gast seinen Gastgeber: „Hast du das alles für mich getan, weil ich Freimaurer bin?“ Die Antwort: „Nein, ich habe das getan, weil ich Freimaurer bin.“

Der Weg des Freimaurers leistet im wesentlichen dreierlei:
1. unterstützt er die persönliche Entwicklung jedes einzelnen
2. bietet er im Leben Orientierung, einen Kompass für das eigene Verhalten
3. ist er darauf angelegt, dass man diesen Weg in Gemeinschaft geht.
Die beiden ersten Aspekte werden aus drei Wurzeln gespeist:
– eine historische
– eine ethische
– eine spirituelle Komponente
Nicht nur bei den einzelnen Lehrarten sind diese Aspekte unterschiedlich gewichtet, sondern auch jeder einzelne Bruder wird aus diesen Quellen in unterschiedlichen Anteilen schöpfen.

Was ist damit gemeint? Lessing hat geschrieben: „Freimaurerei war immer“. Ähnliche Rituale wie bei uns finden sich in vielen zum Teil uralten Einweihungszeremonien. Unsere Gebräuche speisen sich aus Quellen, die schon im alten Ägypten und noch früher praktiziert wurden. Freimaurer, die sich gerne in der Linie unserer Vorfahren verorten, betonen, dass die Tempelritter und auch der Benedektinerorden über das gleiche Wissen verfügten, wie die moderne Freimaurerei. Es gibt eine Linie von den Tempelrittern über die Bauhütten der Gotik bis hin zu unseren Ritualen. Allerdings ist diese Linie meines Erachtens wissenschaftlich noch nicht abschliessend belegt.

In jedem Fall spürt der sich an der Historie orientierende Bruder sich einer größeren Kraft verbunden. Aus der Gewissheit, in einer guten Tradition zu stehen, bekommt er Vorbilder. Seien es die Gebräuche der Tempelritter oder die großen Geister, die auch Freimaurer waren: zum Beispiel Goethe, Mozart oder auch preußische und österreichische Kaiser.

Zum zweiten erhält der Bruder ethische Leitlinien für sein Leben und hat damit Entscheidungshilfen und Verhaltensklarheit. Zum Beispiel durch die Tugenden, die im Lehrgebäude der Freimaurerei thematisiert werden und auch durch brüderliche Gespräche. (An dieser Stelle sei betont, dass die Freimaurerei keinerlei Dogmen beinhaltet. Jeder ist frei, aus dem Schatz der Lehre oder dem Kontakt mit anderen Brüdern das Seine zu nehmen). Die Tugenden, die in unserer Lehre angesprochen werden, sind ein Angebot. Der Bruder ist aufgefordert sich damit auseinander zu setzen.

Was heißt es zum Beispiel in seinem Leben das richtige Maß zu finden? Ich orientiere mich sehr gerne an dem Entwicklungsquadrat nach Schulz v.Thun. Es basiert auf der Annahme, dass jede Tugend eine ausgleichende Schwestertugend braucht, damit sie nicht in eine negative Übertreibung kippt. Z.B. braucht die Sparsamkeit die Schwestertugend Großzügigkeit, weil sie sonst Gefahr läuft zum Geiz zu werden. Die Großzügigkeit alleine könnte zur Verschwendung werden. Unsere Zusammenkünfte erinnern mich auch immer wieder daran in allen Dingen Einseitigkeiten, Extreme zu vermeiden.

Drittens erwächst ihm große Kraft daraus, dass er eine Idee entwickeln wird,
– woher er kommt und in dieses Leben gestellt ist.
– wer er ist und wie er von der Schöpfung gedacht ist.
– wohin er nach diesem Leben geht.
Daraus erwächst ein großes Vertrauen in das Leben und darin, in diesem Leben gut aufgehoben zu sein. In der Freimaurerei wird man sich nur wohl fühlen, wenn man daran glauben kann, dass es eine schöpferische, gestaltende Kraft im Universum gibt. Dem einzelnen wird die Freiheit gelassen, selbst zu entscheiden, wie er sich das vorstellt und wie er es nennt (Gott, Evolution, etc.).

Bei uns, in der christlichen Freimaurerei, halten wir darüber hinaus die Lehre Jesu Christi für richtig. Auf den Kern gebracht heißt es für mich: Das dreifache Liebesgebot (liebe Gott, liebe deinen Nächsten, liebe dich selbst) zu befolgen (jedenfalls mich darum zu bemühen).

Bei entsprechendem Glück wird ein Freimaurer das Geheimnis des Lebens erkennen, nicht mit deinem Verstand, sondern durch Erleben im Ritual. So ausgerüstet wird er dem Leben und seinen Mitmenschen anders begegnen. Unser Ritual bildet einen festen Rahmen. Gefüllt wird er durch das Gemeinschaftsleben. Erst in der Begegnung mit den Brüdern, im Austausch über das Erlebte kommt unsere Lehre zur vollen Anwendung. Niemand ist alleine unterwegs. Ich mag besonders gerne das Bild: „Leben einzeln und frei, wie ein Baum und dabei, brüderlich wie ein Wald.“ (H. Wader)