Manchmal sind es ganz alltägliche Situationen, die einem mehr über einen selbst offenbaren, als einem lieb ist. Ich hatte letzt so ein Aha-Erlebnis, als ich im Auto unterwegs war.
Ich fuhr auf folgende Situation zu; war aber noch etwa 400 Meter von ihr entfernt: Eine Ampel stand auf Grün. Etwa Hundert Meter vor dieser Ampel hatte ein LKW gehalten; wohl zum Be- und Entladen. Da Gegenverkehr kam, stauten sich hinter diesem LKW bereits drei Autos auf.
Während ich mich dieser Situation näherte, begannen meine Gedanken sich plötzlich zu verselbstständigen: „Hoffentlich komme ich noch bei Grün über die Kreuzung! – Was ist, wenn auch ich hinter dem LKW halten muss? – Wenn ich zu lange hinter dem LKW warten muss, komme ich nicht mehr bei Grün über die Kreuzung! Und dann komme ich zu spät zu meinem Termin! – Und das legt man mir sicherlich als Unhöflichkeit aus!“ Ich merkte, wie ich unruhig und fahrig wurde. Stress stieg in mir auf.
Als ich mich dem LKW aber bis auf etwa hundert Meter genähert hatte, war der Gegenverkehr vorüber. Die Autos, die hinter ihm gehalten hatten, setzten nun an ihm vorbei. Und auch ich selbst kam noch in derselben Grünphase der Ampel über die Kreuzung.
Viel Lärm um nichts also. Mal wieder. Doch im Nachhinein offenbarte mir diese Situation zwei Dinge über mich:
1: Mein Verstand neigt dazu, nicht in der Gegenwart zu sein. Wäre ich in dieser Situation einfach nur gegenwärtig gewesen, wäre ich über die Kreuzung gefahren, ohne mir irgendwelche Sorgen zu machen. Ich hätte mir eine Menge unnötigen Stress erspart. Stattdessen kreisten meine Gedanken um eine Situation, die noch vor mir lag. Einen Situation, die ich in dem Moment noch gar nicht beeinflussen konnte. Eine Situation, von der ich noch nicht einmal wissen konnte, ob sie überhaupt eintreffen würde.
2: Mein Verstand neigt dazu sich Sorgen zu machen. Und diese darüber hinaus auch noch zu übertreiben. Die Situation, um die es ging, war eine komplett harmlose, wie man sie tagtäglich im Straßenverkehr erleben kann. Und doch machte mein Verstand etwas Riesengroßes draus. Mit den schlimmsten Konsequenzen. Die Anhaltspunkte für ein derartiges Horror-Szenario waren mehr als gering. Und doch nutzte mein Verstand sie, um das Ganze in den schlimmsten Farben auszumalen.
Witzigerweise ist genau dies einer der Hauptkritikpunkte von spirituellen Lehrern wie z.B. Eckhart Tolle oder Richard Rohr am westlichen Menschen des 21. Jahrhunderts: Dass dieser sich zu viel in seinem Verstand aufhält. Denn dem Verstand ist es nahezu unmöglich, einfach nur (gegenwärtig) zu sein. Entweder blickt er zurück und bedauert oder rechtfertigt die Vergangenheit. Oder er blickt – wie in meinem Fall – nach vorne und befürchtet oder erträumt die Zukunft. Nur eines ist er in der Regel nicht: Gegenwärtig.
Und dabei ist doch ausschließlich der momentane Augenblick der Ort, an dem das Leben geschieht. Der Ort, an dem Gott sich voll und ganz offenbart. Es ist an uns zu lernen, im Hier und Jetzt zu verweilen, um in genau diesem Bewusstsein leben zu können.
Und so zeigte mir diese Begebenheit wieder mal nur, dass es eine Sache ist, über spirituelle Prinzipien zu schreiben und eine andere, nach diesen im Alltag auch zu leben. Mal wieder klaffte bei mir eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Mein Verstand hatte sich verstrickt und hing irgendwo weit hinten in einer fiktiven Zukunft fest.
Und somit brachte ich mich um das, was dieser Moment der Autofahrt für mich parat gehabt haben könnte: Die wundervolle Landschaft um mich herum; das überwältigende Schauspiel von Sonne und Wolken am Himmel; das Lächeln des Fußgängers, der mir entgegen kam; die Katze, die auf dem Torpfosten lag und ihre Umgebung beobachtete, als gäbe es nur diesen einen Augenblick in ihrem ganzen Leben.
Vielleicht hätte ich mir mal wieder bewusst sein können, dass ich mit all dem um mich herum auf einer tieferen Ebene verbunden bin. Dass ich eins bin mit all dem. Vielleicht…