Was macht das Freimaurer-Sein aus?

1. TEIL DER SERIE: „FREIMAUREREI ALS LEBENSEINSTELLUNG“ (GASTBEITRAG)

Was bleibt vom Freimaurertum? Wenn man diese ganzen freimaurerischen Äußerlichkeiten, die Ämter und Grade, die Hierarchien und Institutionen, die Etikette und das Elitäre und den ganzen Habitus, der daraus erwächst, wegnimmt, was bleibt dann noch vom Freimaurertum übrig? Was ist die freimaurerische Lebenseinstellung, der freimaurerische Lebensweg hinter alledem? Was am Freimaurertum hat Bestand, wenn man hinter dessen äußere Fassaden blickt? Seit einigen Monaten begleiten mich ebendiese Fragen. Und ich habe keine abschließende Antwort darauf.

Daher wuchs die Idee in mir, ganz unterschiedliche Feimaurerinnen und Freimaurer zu bitten, ihre Antworten zu diesen Fragen aufzuschreiben und auf meinem Blog zu veröffentlichen. Sie alle eint, dass ich sie als tiefgründig und inspirierend erlebe. Einige von ihnen kenne ich aus meinem tagtäglichen Leben, mit anderen wiederum habe ich mich bislang nur virtuell ausgetauscht. Zu einigen verbinden mich tiefe geschwisterlich freundschaftliche Beziehungen, andere erlebe ich aus der Ferne. Doch ich bin sehr gespannt, was sie dazu zu sagen haben. Über das Jahr verteilt will ich ihre Antworten auf diese Fragen nach und nach auf meinem Blog einstreuen.

Den Anfang dieser Serie macht ein Freund und Freimaurer-Bruder aus meinem persönlichen Umfeld, dem ich mich spirituell auf tiefe Weise verbunden weiß. Im April 2000 war er in die erste Erkenntnisstufe des christlichen Freimaurerordens aufgenommen worden und befindet sich mittlerweile seit einigen Jahren in der zehnten Erkenntnisstufe. Darüber hinaus möchte er keine weiteren Informationen über sich preisgeben. Ein Wunsch, den ich respektiere und dem gerne nachkomme.

WAS MACHT DAS FREIMAURER-SEIN AUS?

Die kleine Geschichte soll ein Einstieg sein:
Ein Mann blieb bei regnerischer Nacht mit seinem Auto liegen. Ein anderer hielt und nahm ihn mit zu sich nach Hause, organisierte den Transport des Autos in eine Werkstatt und gewährte dem Liegenbleiber kostenlos Logis bis zur Reparatur des Autos. Sie hatten viele und gute Gespräche. Dabei stellten sie fest, dass sie beide Freimaurer waren. Zum Abschied fragte der unfreiwillige Gast seinen Gastgeber: „Hast du das alles für mich getan, weil ich Freimaurer bin?“ Die Antwort: „Nein, ich habe das getan, weil ich Freimaurer bin.“

Der Weg des Freimaurers leistet im wesentlichen dreierlei:
1. unterstützt er die persönliche Entwicklung jedes einzelnen
2. bietet er im Leben Orientierung, einen Kompass für das eigene Verhalten
3. ist er darauf angelegt, dass man diesen Weg in Gemeinschaft geht.
Die beiden ersten Aspekte werden aus drei Wurzeln gespeist:
– eine historische
– eine ethische
– eine spirituelle Komponente
Nicht nur bei den einzelnen Lehrarten sind diese Aspekte unterschiedlich gewichtet, sondern auch jeder einzelne Bruder wird aus diesen Quellen in unterschiedlichen Anteilen schöpfen.

Was ist damit gemeint? Lessing hat geschrieben: „Freimaurerei war immer“. Ähnliche Rituale wie bei uns finden sich in vielen zum Teil uralten Einweihungszeremonien. Unsere Gebräuche speisen sich aus Quellen, die schon im alten Ägypten und noch früher praktiziert wurden. Freimaurer, die sich gerne in der Linie unserer Vorfahren verorten, betonen, dass die Tempelritter und auch der Benedektinerorden über das gleiche Wissen verfügten, wie die moderne Freimaurerei. Es gibt eine Linie von den Tempelrittern über die Bauhütten der Gotik bis hin zu unseren Ritualen. Allerdings ist diese Linie meines Erachtens wissenschaftlich noch nicht abschliessend belegt.

In jedem Fall spürt der sich an der Historie orientierende Bruder sich einer größeren Kraft verbunden. Aus der Gewissheit, in einer guten Tradition zu stehen, bekommt er Vorbilder. Seien es die Gebräuche der Tempelritter oder die großen Geister, die auch Freimaurer waren: zum Beispiel Goethe, Mozart oder auch preußische und österreichische Kaiser.

Zum zweiten erhält der Bruder ethische Leitlinien für sein Leben und hat damit Entscheidungshilfen und Verhaltensklarheit. Zum Beispiel durch die Tugenden, die im Lehrgebäude der Freimaurerei thematisiert werden und auch durch brüderliche Gespräche. (An dieser Stelle sei betont, dass die Freimaurerei keinerlei Dogmen beinhaltet. Jeder ist frei, aus dem Schatz der Lehre oder dem Kontakt mit anderen Brüdern das Seine zu nehmen). Die Tugenden, die in unserer Lehre angesprochen werden, sind ein Angebot. Der Bruder ist aufgefordert sich damit auseinander zu setzen.

Was heißt es zum Beispiel in seinem Leben das richtige Maß zu finden? Ich orientiere mich sehr gerne an dem Entwicklungsquadrat nach Schulz v.Thun. Es basiert auf der Annahme, dass jede Tugend eine ausgleichende Schwestertugend braucht, damit sie nicht in eine negative Übertreibung kippt. Z.B. braucht die Sparsamkeit die Schwestertugend Großzügigkeit, weil sie sonst Gefahr läuft zum Geiz zu werden. Die Großzügigkeit alleine könnte zur Verschwendung werden. Unsere Zusammenkünfte erinnern mich auch immer wieder daran in allen Dingen Einseitigkeiten, Extreme zu vermeiden.

Drittens erwächst ihm große Kraft daraus, dass er eine Idee entwickeln wird,
– woher er kommt und in dieses Leben gestellt ist.
– wer er ist und wie er von der Schöpfung gedacht ist.
– wohin er nach diesem Leben geht.
Daraus erwächst ein großes Vertrauen in das Leben und darin, in diesem Leben gut aufgehoben zu sein. In der Freimaurerei wird man sich nur wohl fühlen, wenn man daran glauben kann, dass es eine schöpferische, gestaltende Kraft im Universum gibt. Dem einzelnen wird die Freiheit gelassen, selbst zu entscheiden, wie er sich das vorstellt und wie er es nennt (Gott, Evolution, etc.).

Bei uns, in der christlichen Freimaurerei, halten wir darüber hinaus die Lehre Jesu Christi für richtig. Auf den Kern gebracht heißt es für mich: Das dreifache Liebesgebot (liebe Gott, liebe deinen Nächsten, liebe dich selbst) zu befolgen (jedenfalls mich darum zu bemühen).

Bei entsprechendem Glück wird ein Freimaurer das Geheimnis des Lebens erkennen, nicht mit deinem Verstand, sondern durch Erleben im Ritual. So ausgerüstet wird er dem Leben und seinen Mitmenschen anders begegnen. Unser Ritual bildet einen festen Rahmen. Gefüllt wird er durch das Gemeinschaftsleben. Erst in der Begegnung mit den Brüdern, im Austausch über das Erlebte kommt unsere Lehre zur vollen Anwendung. Niemand ist alleine unterwegs. Ich mag besonders gerne das Bild: „Leben einzeln und frei, wie ein Baum und dabei, brüderlich wie ein Wald.“ (H. Wader)

19.03.2020: BLUE NIGHT – FREIMAURER IN HAMBURG

Es ist wieder soweit! Am 19.03.2020 ab 19:30 Uhr veranstalten einige Logen des christlichen Freimaurerordens (Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland) aus Hamburg in ihrem eindrucksvollen Logenhaus in der Moorweidenstraße 36 in 20146 Hamburg die nächste Blue Night!

Thematisch steht dieser Abend unter dem Motto „Initiation, Rituale und Freimaurerei“. Damit dreht sich dieser Abend um Themen, die auch einen Schwerpunkt auf meinem Blog bilden. Ein Freimaurer-Bruder, der die rituellen Initiationen des Freimaurerordens durchlaufen ist und auch die Initiation nach Richard Rohr, wird den Vortrag dazu halten. Dieser Bruder ist auf diesen Themenfeldern eine echte Kapazität und auch menschlich schätze ich ihn sehr.

Natürlich wird anschließend wieder die Möglichkeit bestehen, in entspannter Atmosphäre und beim Getränk der eigenen Wahl mit Freimaurern ins Gespräch zu kommen.

Wenn Du Interesse an dieser Veranstaltung hast, kannst Du Dich hier anmelden. Wenn Du noch Fragen hast, kannst Du sie gerne hier gerne los werden.

Achtsam durch das Maurerjahr

Vor einigen Monaten schrieb ich einen Blogartikel darüber, was meine Motivation war, Freimaurer zu werden: Ich hatte mich nach einem Ort gesehnt, in dem sich auf rituelle Weise den Themen genähert wird, die meinen spirituellen Weg ausmachen: Innere Stille, Männerinitiation, Archetypen, christliche Mystik, schöpfungsspirituelle Kreisläufe. Diesen Ort habe ich im christlichen Freimaurerorden gefunden. Seine Tempelarbeiten sind mir rituelle Heimat geworden.

Darüber hinaus entfaltete sich im Laufe der Jahre eine weitere Tiefendimension des Rituals des Freimaurerordens in mir: Achtsamkeit für den Jahreszeitenkreislauf. Seitdem ich Freimaurer bin, nehme ich den Weg durch die wiederkehrenden Jahreszeiten und das, was sie in ihrem Wesen ausmacht, bewusster wahr. Ich denke mal, das rührt daher, dass über das Jahr verteilt immer wieder Tempelarbeiten stattfinden, die den Inhalt der jeweiligen Jahreszeit rituell aufnehmen und vertiefen. Dadurch geschieht ein Rückverbinden in die jeweilige Jahreszeit und schließlich in den Jahreszeitenkreislauf.

Dies beginnt mit dem Stiftungsfest meiner Johannisloge Anfang März. Hierbei wird auf rituelle Weise das alte Logenjahr beendet und das neue Logenjahr begonnen. Zufällig fällt das Stiftungsfest meiner Johannisloge mit dem Frühling in eine sehr passende Jahreszeit. Denn so wie beim Stiftungsfest die Loge quasi abermals neu geboren wird, geschieht dasselbe auch im Frühling mit der Natur um uns herum. Der Frühling ist die Zeit, in der die Natur aus ihrem Winterschlaf erwacht und das neue Leben allerorten zu sprießen beginnt.

Im Sommer dann zur Sommersonnenwende wird das Johannisfest rituell begangen. Es findet genau an dem Zeitpunkt statt, an dem der Tag am längsten und die Nacht am kürzesten ist. Genau dann also, wenn die Sonne dermaßen kraftvoll ist, wie sonst das ganze Jahr über nicht. Das Ritual des Johannisfestes hat das Vergehen und Werden des Lichtes zum Inhalt und ist von seiner grundlegenden Aussagekraft her sehr anrührend.

Als nächstes dann, nachdem die dunkle Jahreszeit angebrochen ist, feiert meine Andreasloge ihr Stiftungsfest. Inhalt und Zielrichtung dieses Rituals decken sich weitestgehend mit dem Stiftungsfest der Johannisloge. Der Zeitpunkt für dieses Stiftungsfest liegt mit dem hereinbrechenden Dunkel des Winters dennoch sehr stimmig. Ist die Andreasloge doch der Teil des Weges des Ordensfreimaurers, in dem er tief in seine eigene Finsternis hinabzusteigen und sich seinen eigenen Schatten zu stellen hat.

Nur wenig später findet alljährlich in der Zeit um Totensonntag und Volkstrauertag herum die Trauerloge statt. Vor einigen Jahren widmete ich der Trauerloge einen eigenen Blogartikel. In diesem Ritual ist die Symbolik des Todes omnipräsent. Hierbei wird auf rituelle Weise all den Freimaurer-Brüdern gedacht, die im zurückliegenden Jahr von uns gegangen – in den ewigen Osten eingegangen – sind. Und auch der Zeitpunkt dieser Tempelarbeit ist mit der angebrochenen dunklen Jahreszeit nur zu folgerichtig gewählt.

In der Adventszeit dann, wenn die Finsternis und die Kälte des Winters am stärksten sind, findet die Adventsloge statt. Inhalt dieser vergleichsweise schmucklosen Tempelarbeit ist derselbe wie der der gesamten Weihnachtszeit: Ausharren. Hoffen. Auf die Geburt des Heilands. Auf die Neugeburt des Lichtes. Und irgendwann, wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten…

Rituelle Heimat

WARUM WIRD MAN FREIMAURER?

Warum wird jemand Freimaurer? Vielen Freimaurer-Brüdern habe ich diese Frage gestellt. Und vieles konnte ich beobachten, seitdem ich in diese Bruderschaft aufgenommen worden war. Herausgekommen ist ein bunter Blumenstrauß an Motivationen. Der wohl häufigste Grund ist, einen Weg zu finden, sich mit sich selbst auseinander zu setzen und an sich zu arbeiten. Dies wird gefolgt von dem Wunsch nach Gemeinschaft und dem Bedürfnis, sich sozial zu engagieren. Manch einer schätzt den philosophischen Austausch, die Auseinandersetzung mit humanistischen Ideen oder sehnt sich nach mystischem Erleben. Ein Bruder erzählte mir mal, dass er sich Erleuchtung erhoffte. Doch auch weniger ehrenwerten Motiven bin ich begegnet. So traf ich auch auf Brüder, die sich von der vermeintlich elitären Fassade des Freimaurertums angezogen fühlten. Auch traf ich auf Brüder, die sich berufliche Vorteile oder gar ein karriereförderliches Netzwerk erhofften. Doch warum nun wurde ich selber Freimaurer?

WARUM WURDE ICH FREIMAURER?

Ich kann heute nachvollziehen, dass ich etwa 15 Jahre vor meiner Aufnahme in die Bruderschaft der Freimaurer anfing, mich ernsthaft mit ihr auseinander zu setzen. Es war zu einer Zeit, in der ich von Ritualen nichts hielt. War etwas rituell, war es für mich nur eine Umschreibung dafür, dass es starr, tot und eng war. Aus genau diesem Grund war ich seinerzeit auch aus der evangelischen Kirche ausgetreten.

Durch eine sehr fundamentale Krise, die mein gesamtes bisheriges Leben völlig in Frage stellte, kam ich mit unterschiedlichen Traditionen der Stille im Christentum (Kontemplation, Mönchstum etc.), den Wegen der christlichen Mystik und den Ideen der archaischen Initiationsriten, der Naturspiritualität sowie der spirituellen Männerarbeit nach Richard Rohr in Berührung. Je tiefer sich einzelne Aspekte davon in meinem Alltag verankerten, desto mehr bekam ich innerlich auch Zugang zu den Wirkweisen von Ritualen. Ich begann Rituale als etwas Halt gebendes zu schätzen, das – vorbei an meinem verkopften Wunsch, das Leben zu kontrollieren – mich auf tiefste Weise zu berühren vermag. Das ging so weit, dass ich, als ich mich nach langer Zeit mal wieder in einen sehr liturgischen Gottesdienst der evangelischen Kirche wagte, hinten auf meiner hölzernen Kirchenbank saß und mit den Tränen rang, als das Abendmahl eingesetzt und ausgeteilt wurde. Das war der Moment, in dem ich entschied, wieder in die evangelische Kirche einzutreten. Und es war auch die Zeit, in der ich auf intuitive Weise zu begreifen begann, warum Menschen durch das freimaurerische Ritual angerührt werden können.

Weiter erschloss ich mir, dass es unterschiedliche Richtungen innerhalb des Freimaurertums gibt. Die Richtung, für die ich mich später bewusst entscheiden sollte, war die des christlichen Freimaurerordens. Denn dieser vereinigte in seiner Symbolik und seinem Ritual vieles von dem, was meinen bisherigen spirituellen Weg so reich beschenkt hatte: Aspekte der christlichen Mystik, der Männerinitiation und des Versenkens in innere Stille.

Damit bin ich der Frage, warum ich selbst Freimaurer wurde, schon ein gutes Stück auf die Spur gekommen. Die eigentliche Frage aber, die sich dahinter verbirgt und die jeder, der mit dem Gedanken spielt, Freimaurer zu werden, für sich beantworten muss, lautet: „Was erhoffe ich mir von der Mitgliedschaft in der Bruderschaft der Freimaurer, was ich ohne diese nicht hätte?“ Meine Antwort darauf war: Ich sehnte mich nach einem regelmäßigen Ritual in meinem Leben. Und ich sehnte mich danach, dass dieses mich mit dem in Berührung kommen lässt, was meinen spirituellen Weg ausmacht.

DAS WESEN DER TEMPELARBEIT

Und habe ich gefunden, was ich zu finden erhofft hatte? Ganz klar: Ja! Ich nehme an kaum einem freimaurerischen Ritual teil, aus dem ich nicht innerlich bewegt hervorgehe. Dabei kann ich allerdings gar nicht so recht erklären, woran das nun eigentlich liegt.

Denn formal betrachtet, handelt es sich bei dem freimaurerischen Ritual lediglich um eine Abfolge ritueller Wechselgespräche und ritueller Handlungen. Hierbei wird symbolisch ein idealer Raum betreten: Die Loge. Ich begreife die Loge als einen Ort, der tief in mir liegt. Mein inneres Auge des Sturms. Der Ort, an dem ich einfach nur bin. Der Ort, an dem mystisches Erleben stattfinden kann. Hat man sich rituell in diese Loge begeben, können weitere rituelle Handlungen – wie zum Beispiel die Aufnahme eines Initianten in diesen Grad – vollzogen werden. Anschließend wird diese Loge rituell und in umgekehrter Reihenfolge, wie sie betreten worden ist, wieder verlassen. Der beschriebene Vorgang findet in jedem freimaurerischen Grad während sogenannter Tempelarbeiten statt.

Das Besondere an den Tempelarbeiten, wie ich sie im christlichen Freimaurerorden erlebe, ist, dass diese zwar mit jedem Grad, den man durchläuft, um neue Aspekte bereichert werden, der gesamte (ordens-) freimaurerische Weg jedoch bereits im ersten Grad – dem des Johannislehrlings – enthalten ist. Und ich habe für mich festgestellt, dass es für die Intensität meines Erlebens beinahe gänzlich irrelevant, in welchem Grad dieses Ritual stattfindet.

Der Ablauf einer Tempelarbeit hat von seinem Wesen her etwas sehr liturgisches. In mir lösen Tempelarbeiten ähnliche Zustände aus wie Meditationen oder vergleichbare Stille-Übungen. Im Laufe der Zeit ist die rituelle Loge so etwas wie eine innere Heimat für mich geworden. Gerade auch in den letzten anderthalb Jahren, in denen sich mein Weg verfinsterte und ich mich Anteilen von mir stellen musste, die ich am liebsten ganz weit weg geschoben hätte, habe ich die freimaurerischen Tempelarbeiten noch mal ganz neu als einen Ort schätzen gelernt, an dem ich zur Ruhe komme und mit mir selbst und meiner spirituellen Sehnsucht in Berührung komme. Wenn der Logenmeister eine jede Tempelarbeit eröffnet, indem er mit seinem Hammer auf den Altar schlägt und die Worte spricht „Ehre sei Gott“, spüre ich in diesem Moment, wie ich heimkehre…

Freimaurerische Vermessenheit

Es gibt zwei Annahmen, die mir in freimaurerischen Kreisen wiederholt begegnet sind und aus denen, meiner Meinung nach, eine hochmütige, anmaßende und überhebliche Selbsteinschätzung der freimaurerischen Bruderschaft spricht. Die erste Annahme lautet: „Freimaurerei war immer.“ Und bei der zweiten Annahme wird jeder Nicht-Freimaurer, der nach Gedankengut und Grundsätzen lebt, die für gewöhnlich Freimaurer für sich reklamieren, kurzerhand zum „Freimaurer ohne Schurz“ erklärt.

„FREIMAUREREI WAR IMMER“

Das Zitat „Freimaurerei war immer“ stammt aus dem in den Jahren 1776 bis 1778 entstandenen Werk „Ernst und Falk“ des Freimaurers Gotthold Ephraim Lessing. In diesem Stück trifft „Ernst“ auf den Freimaurer „Falk“. In einem Wechselgespräch möchte Ernst von Falk zu erfahren, was das Freimaurertum ist und was dessen Wesen ausmacht. In Zuge dieses Gesprächs versucht Falk Ernst zu erklären, dass es sich beim Freimaurertum um eine Geisteshaltung handelt, die seit jeher in der Menschheit vorzufinden ist. Folglich existierte diese Geisteshaltung auch schon lange bevor es das Anfang des 18. Jahrhunderts gegründete Freimaurertum gab. Daher seine Aussage: „Freimaurerei war immer.“

Ich verstehe, was Lessing mit dieser Formulierung ausdrücken will, halte sie aber für fragwürdig und missverständlich. Meiner Meinung nach zäumt Lessing das Pferd von der völlig falschen Seite auf. Denn: Freimaurerei war nicht immer. Das Freimaurertum hatte einen Anfang. Und es wird einmal ein Ende haben. Das Einzige, was immer war und auch immer sein wird, ist das Geheimnis, um das sich das Freimaurertum dreht. Ich würde dieses Geheimnis als das „Mysterium des Lebens“ umschreiben. Diesem Mysterium sieht sich der Mensch von Anbeginn an ausgeliefert. Und dabei erfährt er, wie erhaben und wundervoll und gleichzeitig unkontrollierbar und unerbittlich es ist. Daher versucht der Mensch seit jeher die Gesetzmäßigkeiten und Kreisläufe dieses Mysteriums zu verstehen und das eigene Leben mit ihnen in Einklang zu bringen. Dieses Streben hat immer auch spirituelle Dimension gehabt. Und so bildeten sich in den verschiedenen Zeitaltern der Menschheitsgeschichte unterschiedliche Hüter dieses Mysteriums heraus: Älteste, Schamanen, Priester, Kulte, Religionen, Mysterienbünde. Deren Aufgabe war es, das Wissen um das Mysterium des Lebens zu bewahren sowie nachfolgende Generationen in dieses Wissen einzuweihen und darin zu unterweisen. Das Freimaurertum ist nur ein Hüter dieses Mysteriums unter vielen. Und es ist bei weitem auch nicht einmal der älteste dieser Hüter. Seine Aufgabe ist die Einweihung des Neophyten in dieses Mysterium des Lebens. Somit ist das Freimaurertum auch „nur“ Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst. Die Aussage „Freimaurerei war immer“ vertauscht diese Reihenfolge und die damit verbundenen Wertigkeiten.

„FREIMAURER OHNE SCHURZ“

Wenn man im Freimaurer-Wiki nach den Begriffen „Freimaurer ohne Schurz“ sucht, stößt man auf folgende Definition: „Bezeichnung für einen Profanen, der maurerische Grundsätze und maurerisches Gedankengut vertritt.“

Ich habe grundsätzlich Bauchschmerzen damit, dass mit dieser Aussage Menschen in „Freimaurer“ und „Profane“ eingeteilt werden. Dies zeugt von einer elitären Selbstwahrnehmung, die den Freimaurer auf eine höhere Stufe stellt als den Nicht-Freimaurer. Wenn es tatsächlich so ist, dass die weltweite Bruderschaft der Freimaurer für Werte wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität“ eintritt, werden diese Werte durch das Einteilen in Freimaurer und Profane konterkariert und mit Füßen getreten. Jeder Mensch ist gleich heilig oder gleich profan. Die Mitgliedschaft in einer wie auch immer gearteten Organisation ändert nichts an diesem Fakt.

Dann wirft dies auch die Frage auf, ab wann etwas ein freimaurerischer Wert, Grundsatz oder freimaurerisches Gedankengut ist. Wenn ich noch einmal die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität“ bemühe, dann frage ich mich: Handelt es sich hierbei um explizit freimaurerische Werte? Oder sind es nicht vielmehr universelle Werte, die das Freimaurertum für sich entdeckt und adaptiert hat? Darüber hinaus ist – wie oben bereits angeführt – auch die Idee der rituellen Initiation keine primär freimaurerische. Folglich stellt sich die Frage, ab wann man Werte, Grundsätze und Gedankengut freimaurerisch nennen kann?

Nun mal angenommen, man käme tatsächlich zu dem Ergebnis, bestimmte Werte, Grundsätze und ein bestimmtes Gedankengut als explizit freimaurerisch einordnen zu können. Ist es dann nicht regelrecht übergriffig, Nicht-Freimaurer, die ihr Leben ebenfalls danach ausgerichtet haben, einfach für sich zu vereinnahmen? Ist das nicht erst recht der Fall, wenn diese vielleicht sogar aus guten Gründen keine Freimaurer sind?

Ich selber zum Beispiel habe eine Affinität für alte Kirchengebäude und liturgische Gottesdienste. Darüber hinaus hat das Gebot von Jesus Christus der Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe einen hohen Stellenwert auf meinem spirituellen Weg. Das alles trifft wahrscheinlich auch auf einen praktizierenden Katholiken zu. Trotzdem würde ich mich sehr dagegen verwehren, wenn Katholiken mich deshalb einfach als Katholik – vielleicht als „Katholik ohne Kirchenschein“ oder so – bezeichnen würden. Schließlich gibt es trotz einiger Überschneidungen klare Gründe, weshalb ich kein Mitglied der Katholischen Kirche bin. Das liegt in der Hierarchie und in dem Dogma dieser Institution begründet.

Ebenso kann jemand von außen betrachtet große Schnittmengen mit dem Gedankengut, den Werten und den Grundsätzen des Freimaurertums aufweisen und trotzdem ganz bewusst nie Mitglied einer Freimaurerloge geworden sein. Ihn dann einfach – quasi gegen seinen Willen – als Freimaurer (ohne Schurz) zu adaptieren ist schlichtweg übergriffig.

Natürlich ist ein Freimaurer jemand, der ein bestimmtes Gedankengut sowie bestimmte Werte und Grundsätze in seinem Leben praktiziert. Darüber hinaus aber eben auch jemand, der versucht, sich die freimaurerische Symbolik zu erschließen, im Austausch mit den Brüdern steht und regelmäßig am freimaurerischen Ritual teilnimmt. Und zumindest für die letztgenannten Punkte bedarf es der Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, ist kein besserer oder schlechterer Mensch, auch kein heiligerer oder profanerer Mensch, sondern einfach nur kein Freimaurer. Auch kein Freimaurer ohne Schurz.

DEN BAU VOLLENDEN

Eine wichtige Voraussetzung für die Errichtung eines Bauwerkes ist, dass vor Baubeginn fehlerfrei vermessen worden wird. Denn aus den gemessenen Daten errechnet sich schließlich der Bauplan. Und aus diesem leitet sich zum Beispiel ab, wie viel Bauzeit zu veranschlagen ist, wie viel Material benötig wird und wie viele Bauleute eingesetzt werden müssen. Das gesamte Projekt steht daher auf tönernen Füßen und droht nicht vollendet zu werden, hat man sich vor Baubeginn vermessen.

Vermessen im wahrsten Sinne des Wortes sind, wie ich dargelegt habe, die Aussage „Freimaurerei war immer“ und die Idee des „Freimaurers ohne Schurz“. (Zugegebenermaßen ist dieses Wortspiel etwas bemüht, trifft aber dennoch ganz gut, was ich ausdrücken will.) Denn dieses hochmütige, anmaßende und überhebliche Selbstbild, das aus diesen Aussagen trieft, steht im krassen Widerspruch zum tiefsten Wesenskern des Freimaurertums. Dieser Eindruck wächst und verfestigt sich in mir, je länger ich Freimaurer bin, je höher ich in den freimaurerischen Graden komme und je tiefer ich ins freimaurerische Ritual und seine Symbolik eintauche. Das genannte Selbstbild ist völlig ungeeignet, den freimaurerischen Bau zu vollenden. Und hierbei ist es egal, ob ich vom inneren Tempel spreche, den jeder Freimaurer in sich selbst errichtet oder vom universellen Tempel der Humanität, in den der einzelne Freimaurer sich als Baustein einfügt.

Daher, liebe Freimaurer-Brüder, lassen wir den Geist, der hinter diesem egodurchseuchten Selbstbild steht, doch sterben! Legen wir ihn in den Sarg, in sein eigenes Grab! Er soll das Fleisch sein, das sich von den Knochen löst, wenn der Verwesungsprozess einsetzt! Verrotten soll er und im Sarg zurückbleiben. Niemals mehr soll er (mit) auferstehen! Es liegt nur an uns. Was hindert uns daran?

Wörter und Götter und so

NICHTS NEUES UNTER DER SONNE?

Im Januar 2018 erschien das Buch „Wörter machen Götter“ des Freimaurers Klaus-Jürgen Grün. Ein Buch, in dem er Stellung bezieht. Nicht nur für ein humanistisch atheistisch geprägtes Freimaurertum. Sondern auch explizit gegen den christlichen Freimaurerorden (Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland – GLLvD). Ein Buch, das polarisiert und innerhalb des deutschen Freimaurertums für verbitterte Auseinandersetzungen und Anfeindungen gesorgt hat.

Bruder Grün gehört der vorwiegend humanistisch ausgerichteten freimaurerischen Richtung der „Alten freien und angenommenen Maurer von Deutschland“ (AfuaM) an. Bereits in der Vergangenheit hat er Veröffentlichungen verschiedenster Art herausgebracht, die sich von einem humanistischen Standpunkt aus kritisch mit den Fragen der Religion und des Gottesglaubens auseinandersetzen. Nur konsequent stellt er auch die esoterisch spirituellen Bezüge im Lehr-, Symbol- und Ritualgebäude der ersten drei Johannisgrade des Freimaurertums in Frage. Folgerichtig hinterfragt er dasselbe in den unterschiedlichen Systemen der (Hoch-) Grade, die auf die ersten drei Johannisgrade folgen (können). Denn in diesen werden regelhaft die esoterisch spirituellen Aspekte des Freimaurertums aufgegriffen, vertieft und erweitert.

Die Auseinandersetzungen, ob der freimaurerische Weg einen wie auch immer gearteten Gottesbezug benötigt und ob Symbol und Ritual des Freimaurertums immer auch eine esoterisch spirituelle Dimension innewohnen muss, sind so alt wie das Freimaurertum selbst. Auch heute werden sie geführt. Viel zu häufig. Gerne auch voller Inbrunst. Und nicht selten kräftig unter die Gürtellinie (siehe hier).

Ich selbst habe mich auf meinem Blog zu diesem Thema klar positioniert (siehe hier). Doch ich habe auch die freimaurerischen Standpunkte, die konträr zu den meinen stehen, als gleich-berechtigt auf meinem Blog zugelassen (siehe hier und hier).

Das Streitthema, zu dem Bruder Klaus-Jürgen Grün sich äußert, ist also kein neues. Und auch sein Werk „Wörter machen Götter“ ist nicht seine erste Verlautbarung dazu. Warum also hat es nun solch einen Wirbel ausgelöst und so viel Unfrieden in das deutsche Freimaurertum getragen?

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich selbst habe das Buch von Bruder Grün nicht gelesen. Doch kenne ich mittlerweile seitenweise Zitate daraus und habe auch mehrere Rezensionen gelesen. Das langt nicht, um fundiert inhaltlich zu diskutieren. Aber es langt, um mir ein Bild über den Stil dieses Buches zu machen. Und um Fragen zu stellen…

POTENTIAL DER VERLETZUNG

Ich glaube, das, was am schwersten an dem Buch von Bruder Grün wiegt, ist, dass er dem gesamten christlichen Freimaurerorden pauschal jegliche Regularität abspricht. Dies tut er mit einer Absolutheit und einer Vehemenz, die jeden Andersdenkenden automatisch ausgrenzt. Und damit verlässt er die Ebene der gleichberechtigten Begegnung und des gleichberechtigten Austausches. Er stellt ein Über-Unter-Verhältnis her. Dadurch schafft er die gleiche Ausgangssituation, wie sie religiöse Fundamentalisten gegenüber Ungläubigen schaffen. Auf der einen Seite steht der „Gläubige“, der im Besitz der „absoluten Wahrheit“ über etwas ist. Und auf der anderen Seite steht der „Ungläubige“, der einen großen Makel hat, so lange er diese Wahrheit nicht vollständig übernommen hat. Das treibt Bruder Klaus-Jürgen Grün so weit, sich sogar anzumaßen, selber besser beurteilen zu können, wie der einzelne Ordensfreimaurer das eigene Ordensritual und den Begriff des „Dreifach großen Baumeisters“ zu verstehen und für sich auszufüllen und zu leben hat.

Weiter wählt er bezogen auf den Freimaurerorden eine Wortwahl, die vor allem dazu geeignet ist, die Gefühle religiöser Menschen zu verletzen. Und auch so manche Schlussfolgerung, die er bezüglich des Freimaurerordens zieht, ist bestenfalls plakativ und provozierend; schlimmstenfalls aber irgendwo zwischen übler Nachrede und Rufmord anzusiedeln.

So überrascht es nicht, dass mir einiges, was ich aus diesem Buch las, tiefe und schmerzhafte Stiche versetzt hat. Es verlangte mir einiges an Impulskontrolle ab, mich nicht ebenfalls mit wehenden Fahnen und gewetzten Messern in die entflammten Kontroversen zu stürzen.

Eine bittere Erkenntnis, die mir die ganzen vorangegangenen Auseinandersetzungen um Gott und Spiritualität innerhalb des Freimaurertums gebracht hatten, war, dass Fundamentalismus kein Merkmal ist, das sich nur in den Religionen finden lässt. Viel zu oft hatte ich erleben müssen, dass humanistische und atheistische Brüder dieselben Argumentationsweisen, denselben Absolutheitsanspruch und dieselbe Toleranzfähigkeit an den Tag legten wie religiöse Fundamentalisten. In diesen Fällen war lediglich das religiöse Dogma durch ein nichtreligiöses ersetzt worden. Und das Buch von Bruder Grün setzt leider ein dickes Ausrufezeichen hinter diese Beobachtung.

Wie es scheint sind auch die „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ (VGL) zu einer ganz ähnlichen Einschätzung über dieses Buch gekommen. In der VGL haben sich die fünf eigenständigen Großlogen, die die Johannisgrade auf deutschem Boden bearbeiten, zusammengefunden. Unter anderem auch die Großloge AfuaM und der christliche Freimaurerorden. Und der Senat der VGL – in dem die Großloge AfuaM aus Proportsgründen die Mehrheit stellt – hat das Buch einstimmig als „Hetzschrift“ eingeordnet.

AUS DER GESCHICHTE NICHTS GELERNT?

Das letzte Mal, dass eine freimaurerische Richtung einer anderen freimaurerischen Richtung die Rechtmäßigkeit in derart massiver Weise abgesprochen hat, war in den Zeiten des aufstrebenden Nationalsozialismus. Doch damals war es genau umgekehrt. Damals war es der christliche Freimaurerorden, der seinen humanistischen Brüdern die Existenzberechtigung absprach. Dies geschah auch, um sich dem Nationalsozialismus bis zur Aufgabe der eigenen Identität anzubiedern.

Das Ende vom Lied ist hinlänglich bekannt. Wenn überhaupt, dann lieferte das Verhalten des Freimaurerordens lediglich den Feinden des gesamten Freimaurertums Munition. Und schlussendlich wurden alle Richtungen des Freimaurertums verboten und verfolgt.

Meinem Verständnis nach ist der christliche Freimaurerorden damals seinen humanistischen Brüdern gegenüber schuldig geworden. Inwiefern dies aufgearbeitet worden ist und eine Aussöhnung stattgefunden hat, kann ich (noch) nicht abschließend beurteilen.

Doch dieses freimaurerische Kapitel hat mich sensibilisiert für die Verantwortung, die jeder einzelne Freimaurer für das trägt, was er öffentlich von sich gibt. Das gilt ganz besonders für die heutige Zeit, in der am rechten politischen Rand und in Reihen konservativ dogmatischer Christen wieder die wirrsten Verschwörungstheorien entstehen und verbreitet werden, woran „die Freimaurer“ denn so alles Schuld seien. Bruder Klaus-Jürgen Grün war sich seiner Verantwortung offenbar nicht bewusst, als er sein Buch schrieb.

TRENNENDES UND VERBINDENDES

Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt für Menschen nur zwei grundsätzliche Arten, miteinander umzugehen. So kann man entweder betonen, was einen verbindet. Oder man kann betonen, was einen trennt. Was für die Menschheit im Allgemeinen gilt, gilt für die Bruderschaft der Freimaurer im Besonderen.

Und von dem Moment an, wo Dogmatismus Spiel kommt, wird immer das Trennende betont. Denn Dogmatismus geht von einer „feststehenden Definition oder einer grundlegenden, normativen Lehraussage“ aus, „deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird“ (vergleiche Wikipedia). Das bringt mit sich, dass jede Anschauung und jeder Mensch, der mit dieser Lehraussage nicht konform geht, ausgegrenzt wird.

Bruder Grün spricht mit seinem Buch ganz klar die Sprache eines Dogmatikers. Er betont das Trennende. Und absolutiert diesen Standpunkt. Er stellt sein Dogma über brüderliche Begegnung. Ebenso gut hätte er ein Buch darüber schreiben können, was das christliche und das humanistische Freimaurertum verbindet. Dieses Buch wäre wahrscheinlich um einiges länger und umfangreicher geworden. Stattdessen ergießt er sich darin zu betonen, was beide Lager voneinander trennt.

Und er sieht in diesen Unterschieden nichts, was bereichert oder im positiven Sinne herausfordert. Sondern nur etwas, was ausgelöscht gehört. Das zeigt, dass er von einer Art gleichgeschalteter Einheitsfreimaurerei auszugeht. Und in dieser hat nur Platz, wer einer humanistisch atheistischen Überzeugung anhängt, wie Bruder Klaus-Jürgen Grün sie definiert.

VIELFALT UND VERWURZELUNG

Das ist wahrscheinlich der Punkt, an dem ich am weitesten mit ihm auseinanderliege. Für mich sind die unterschiedlichen und bisweilen auch gegensätzlichen Facetten, die sich im Freimaurertum wiederfinden, eine der größten Stärken dieser Bruderschaft. Für mich ergänzen und bereichern diese sich gegenseitig.

Denn das, was diese unterschiedlichen Brüder miteinander verbindet, ist das Erleben des freimaurerischen Rituals und der freimaurerischen Symbolik. Und dies verbindet auf einer viel tieferen Ebene, als dass der Buchstabe des Dogmas jemals dringen könnte. Das ist meines Erachtens das „berühmte“ freimaurerische Geheimnis.

Aus diesem Grund bin ich gerne bereit, die Spannungen, die diese freimaurerische Vielfalt mit sich bringt, auszuhalten und mitzutragen. Und mit dieser inneren Haltung begegne ich auch den freimaurerischen Brüdern, die mir – wie Bruder Grün – absprechen, ihr Bruder zu sein. Natürlich erfordert dies ein hohes Maß an Ausdauer und Leidensfähigkeit und auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Aber die Begegnungen und der Austausch, die es mit sich bringt, wiegen das allemal auf.

Wahrscheinlich wäre es sehr viel einfacher, mich in meiner eigenen freimaurerischen Wagenburg zu verschanzen und alles zu bekämpfen, was meine kleine, heile Welt in Frage stellt. Es wäre der Weg des geringsten Widerstands. Der Weg, den Bruder Klaus-Jürgen Grün mit seinem Buch gewählt hat. Aber dieser Weg ist eben nicht meiner.

Nur um eines ganz klar zu sagen: Dieses bewusste Aushalten und Annehmen der Spannungen zwischen den unterschiedlichen freimaurerischen Richtungen hat nichts mit Beliebigkeit, Gleichgültigkeit oder Ignoranz zu tun. Natürlich habe ich eine ganz klare Verwurzelung in der Lehrart des christlichen Freimaurerordens. Und diese Verwurzelung ist bewusst gewählt. Ich kann sie begründen und ich schätze sie. Trotzdem sehe ich in den anderen Lehrarten keine Bedrohung für meinen eigenen freimaurerischen Weg. Sondern etwas, das meinen Weg ergänzt, bereichert und im positiven Sinne herausfordert. In dem Freimaurertum, für das ich stehe, haben Atheisten ebenso Platz wie Gottesgläubige, die unterschiedlichen Agnostiker ebenso wie ganze Bandbreite der spirituell Suchenden, Gnostiker und Mystiker. Und so weiter. Der viel zitierte Satz „Einheit in Vielfalt“ ist für mich keine hohle Phrase, sondern gelebte Wirklichkeit.

Und dieser Satz findet für mich organisatorischen Ausdruck in der VGL. Meines Erachtens tut es dem christlichen Freimaurerorden und der Großloge AfuaM nur gut, durch diesen Dachverband in regelmäßiger Kommunikation zu stehen und sich immer wieder miteinander auseinandersetzen zu müssen. Ohne die VGL bestünde die Gefahr, dass beide Großlogen zu sehr in ihrem eigenen Saft schmoren.

BLUTENDE WUNDEN UND OFFENE FRAGEN

Mein Bruder und Freund René Schon meinte zu mir, dass Bruder Grün in seinem Buch interessante und schlüssige Thesen in Bezug auf die Gottesfrage bringt. Das stelle ich nicht in Abrede. Ich las an verschiedener Stelle, dass Bruder Klaus-Jürgen Grün ein „brillanter Geist“ sein soll. Doch ein Buch ist grundsätzlich nicht nur nach seinem Inhalt zu bewerten, sondern auch nach seinen Auswirkungen.

Und diese sind überwiegend destruktiver Natur. Denn dieses Buch hat schmerzhafte Kreisläufe der gegenseitigen Verletzungen angestoßen. Es hat Gräben gerissen zwischen Menschen, die sich als Brüder begegnen sollten. Es hat die „freimaurerische Ökumene“ um Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, zurückgeworfen. Die Wunden, die es gerissen hat, werden noch lange bluten. Und die Narben wird man noch wesentlich länger sehen.

Für mich bleibt die Frage, welche Absicht Bruder Grün verfolgt hat. Er bringt ein Buch heraus, das von seinem Inhalt und von seiner Machart her geeignet ist, maximalen Flurschaden innerhalb des deutschen Freimaurertums anzurichten. Welche Folgen dieses Werk haben wird, muss ihm vorher bewusst gewesen sein. Schließlich ist er lange genug Freimaurer und kennt die unterschiedlichen Richtungen gut genug, um das abschätzen zu können.

War es seine Absicht, möglichst viele Brüder, die er unmöglich alle persönlich kennen konnte – Brüder wie mich -, stumpf zu verletzen? Oder suchte er den Skandal, um gute Verkaufszahlen zu generieren? Oder nutzt er das Buch, um eine persönliche Fehde auszutragen? Glaubt er tatsächlich, dass seine destruktive Art und Weise geeignet ist, das deutsche Freimaurertum in seine Richtung zu verändern? Wollte er nur einen Impuls setzen, der ihm letztendlich komplett entglitten ist? Oder wollte er den Bruch zwischen dem christlichen Freimaurerorden und der Großloge AfuaM herbeizuführen; mit dem Ziel, dass einer oder sogar beide die VGL verlassen?

Egal, was die Motive von Bruder Klaus-Jürgen Grün auch gewesen sein mögen, der Kollateralschaden, den dieses Buch mit sich bringt, steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den es haben könnte. Es zeigt sich wieder mal: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Weihnachtsbaum – Ein archetypisches Symbol?

WUNDERVOLLE KLEINE MOMENTE

Unbeholfen rückte sie ihren kleinen Kinderstuhl durch das Wohnzimmer. Bis er schließlich direkt vor dem Weihnachtsbaum stehen blieb. Und dann setzte sie sich auf den Stuhl und blickte ihn überwältigt an. Diesen Baum, der so prachtvoll geschmückt war. In dem so viele Lichter funkelten. Ehrfurchtsvoll berührte sie einzelne seiner Zweige. Ganz vorsichtig und ganz verstohlen. Auf ihrem Gesicht hatte sich ein Strahlen ausgebreitet, wie ich es bei ihr noch nie zuvor gesehen hatte. Der ganzen Situation wohnte eine tiefe Ruhe und Ergriffenheit inne.

Zwischen den Tagen besuchten wir Freunde. Natürlich stand auch bei denen ein Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Irgendwann bemerkten wir, dass unsere Tochter sich auf ein Kissen vor den Weihnachtsbaum gesetzt hatte. Wieder blickte sie ihn überwältigt an. Wieder dieses Strahlen in ihrem Gesicht. Als sie merkte, dass wir sie beobachten, guckte sie uns an, zeigte auf den Baum und rief freudestrahlend: „Weiha, Weiha!“ Ihr Wort für „Weihnachtsbaum“.

In beiden Situationen war er plötzlich wieder da: Dieser Kloß in meinem Hals. Für einen kurzen Moment traten mir die Tränen in die Augen. Es waren wieder welche von diesen unzähligen, kleinen, wundervollen Momenten, wie ich sie so oft erlebe, seitdem unsere Tochter auf der Welt ist.

Diese Weihnachtszeit war die erste Weihnachtszeit, die unsere Tochter bewusst erlebt hat. Und sie war es, die ein wenig des Weihnachtszaubers zurückholte, den ich seit meiner Kindheit nicht mehr gekannt hatte. Auch wenn mir bewusst ist, dass sie das alles in ein paar Wochen oder Monaten wieder vergessen haben wird. Es wird eine dieser Erinnerungen sein, die ich für sie bewahren werde. Und wenn sie möchte, werde ich diese Erinnerung einmal mit ihr teilen.

ARCHETYPISCHE BILDER UND SYMBOLE

Die beschriebenen Situationen warfen in mir die Frage auf, warum Weihnachtsbäume solch eine Faszination auf unsere kleine Tochter ausüben. Und das, obwohl sie noch gar nicht in der Lage ist, vom Verstand her zu begreifen, was es mit diesen Bäumen auf sich hat. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr reifte der Verdacht, dass es sich bei dem Weihnachtsbaum um ein archetypisches Symbol handeln könnte.

Archetypen sind Urbilder menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster. Diese haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte tief im kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit verwurzelt. Sie manifestieren sich in kraftvollen Bildern und Symbolen. Jeder Mensch verfügt über einen intuitiven Zugang zu diesen Bildern und Symbolen. Archetypen können im Inneren eines Menschen Resonanzen auslösen und Prozesse anstoßen, noch bevor der Verstand sie überhaupt begreift.

Das wohl ultimative archetypische Bild ist das vom Kreislauf des „Werden und Vergehen allen Lebens“. Leben wird einmal geboren; Leben stirbt irgendwann; und aus dem Tod heraus entsteht neues Leben. Ich kenne keinen archaischen Initiationsritus, keinen Mysterienbund, der dieses Bild nicht rituell oder in Symbole gekleidet aufnimmt und ausdrückt.

DUNKELHEIT UND TOD

Irgendwann gelangt dieser Kreislauf des Werdens und Vergehens allen Lebens im Reich des Todes und der Dunkelheit an. Die Zeit, in der die Nächte tief und lang sind. Die Zeit, in der der Winter das ganze Land in seinen frostigen Klauen gefangen hält. Die Zeit, in der die einstige Kraft der Sonne verblasst ist.

Und genau in dieser Zeit stellen wir den Weihnachtsbaum auf. Einen Nadelbaum, der sowohl im Sommer, als auch im Winter sein grünes Kleid trägt. Ein Symbol für das Leben inmitten des Todes. Und diesen Nadelbaum schmücken wir mit Lichtern, die wir entzünden. Ein Symbol für die Hoffnung auf die Wiedergeburt des Lichtes inmitten der tiefsten Dunkelheit. Lässt man diese Bilder in sich nachhallen, merkt man, was für machtvolle Dimensionen ihnen innewohnen.

Während ich diesen Artikel schrieb, wurde mir bewusst, dass das Symbol des Weihnachtsbaums und die freimaurerische Andreasloge ganz ähnliche Resonanzen in mir erzeugen. Die Andreasloge umfasst die Grade vier bis sechs innerhalb des Lehrgebäudes des christlichen Freimaurerordens bzw. des sogenannten „Schwedischen Systems“. Ich selbst habe aktuell den fünften Grad inne. Die dominierenden Themen der Andreasloge sind (die eigene) Dunkelheit und (der eigene) Tod. Und trotzdem sind auch die Hoffnung auf Aufrichtung und Licht in diesem Herrschaftsbereich der Dunkelheit und des Todes präsent. Entsprechend sind das Ritual sowie die Einrichtung des Tempels der Andreasloge gehalten.

EPILOG

Anfang Januar schmückten wir unseren Weihnachtsbaum wieder ab und stellten ihn zur Abholung an die Straße. Als ich mit meiner Tochter das erste Mal an ihm vorbeiging, weinte sie, als sie ihn sah und rannte zu ihm hin. Dann schien es, als versuchte sie ihn zu umarmen oder aber an möglichst vielen Stellen zu berühren. Schließlich wollte sie ihn an der Spitze wieder zurück nach Hause zu schleifen. Als das nicht gelang, wimmerte sie: „Weiha, Weiha?“ Sie trauerte um ihren geliebten Weihnachtsbaum. Doch dessen Zeit war vergangen…