Dogma trennt

EIN CHRIST UND EIN BUDDHIST

Vor einigen Jahren war ich auf der Zeremonie einer christlichen Taufe. Der Sohn eines guten Freundes hatte sich entschieden, sich taufen zu lassen. Wenn ich mich recht entsinne, war er zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt. Die Taufe fand in einem Fluss – der Elbe – statt. Es war eine stimmige und naturverbundene Zeremonie.

Unter den Gästen lernte ich einen Buddhisten kennen, mit dem ich ins Gespräch kam. Je länger wir uns unterhielten, desto größer war die Verbundenheit, die wir für einander empfanden. Erzählte er doch von seinen Erfahrungen mit innerer Stille, Kontemplation und Achtsamkeit, die den meinen sehr, sehr ähnlich waren. Das galt Ebenfalls für das Bewusstsein, das daraus resultierte, sowie das Wahrnehmen des Lebens und des Menschen. Auch bei den ethisch-moralischen Konsequenzen, die sich daraus für den eigenen Lebenswandel ergeben, waren wir nicht weit auseinander.

Nach der Taufe stellten wir christlich Gläubigen uns in einen Kreis und sprachen das Apostolische Glaubensbekenntnis. Bei diesem Bekenntnis handelt es sich um so etwas wie den kleinsten gemeinsamen inhaltlichen Nenner der Christenheit. Hierin wird in drei Abschnitten definiert und proklamiert, was der Christ unter Gott, was er unter Jesus Christus und was er unter dem Heiligen Geist versteht. Der Buddhist stand seltsam ausgegrenzt daneben und sprach dieses Bekenntnis nicht mit.

Später fragte ich ihn, warum er das Apostolische Glaubensbekenntnis nicht mitgesprochen hatte. Nur folgerichtig meinte er sinngemäß zu mir, dass es halt nicht seine Glaubenslehre sei, die in diesem Glaubensbekenntnis formuliert sei. Deswegen konnte und wollte er es auch nicht mitsprechen. Es beschämte mich ein wenig, dass dieser Menschen in dieser Situation durch mein christliches Glaubensbekenntnis ausgeschlossen worden war.

ERFAHRUNG UND LEHRMEINUNG

Schon seltsam: Als es um die spirituellen Erfahrungen ging, die unsere jeweiligen Religionen uns ermöglicht hatten, sowie um das daraus resultierende Bewusstsein samt der Konsequenzen für den eigenen spirituellen Weg, waren der Buddhist und ich fast schon deckungsgleich beieinander. Als es jedoch um die Worte ging, mit denen unsere Religionen diese Erfahrungen in „feststehende Definitionen, grundlegende normative Lehraussagen mit unumstößlichem Wahrheitsgehalt“ – sprich in Dogmen – gepresst hatten, lagen wir meilenweit auseinander. Unsere Erfahrungen einten uns, unsere Dogmen trennten uns.

Diese Tendenz, das Trennende zu betonen, wird von den verschiedenen Religionen der Menschheit oftmals dadurch verstärkt, dass die eigenen Dogmen als göttlich offenbart und folglich absolut verstanden und vertreten werden.

Ich glaube, die Welt, in der wir leben, könnte ein besserer Ort sein, wenn sich die Gläubigen der unterschiedlichen Religionen zu allererst offen, wertschätzend und gleichberechtigt begegneten und über ihre sich so stark gleichenden Erfahrungen mit dem Göttlichen austauschten und erst danach darauf schauten, welche bisweilen gegensätzlichen Lehrgebäude ihre Religionen daraus errichtet haben. An besagtem Tag konnten der Buddhist und ich davon schmecken, dass solch ein besserer Ort möglich ist…

Unsterblich

„Holy Spirit,
I surrender,
take me
where you wanna go.“

Ich biege mit dem Kinderwagen ab auf einen schmalen Feldweg. Die müden Augen meiner Tochter schweifen über die Landschaft, die uns umgibt. In ihnen spiegeln sich die letzten Strahlen der Abendsonne. Das gleichmäßige Holpern des Kinderwagens wiegt meine Tochter langsam in den Schlaf.

Als dieses alte, fast schon vergessene Lied in mir aufsteigt. Es stammt aus einer Zeit, in der wir glaubten, die ganze Welt liege uns zu Füßen. Es war dieselbe Welt, die wir mit dem Feuer unserer Herzen in Brand stecken wollten. Wir träumten von nicht weniger als einer geistlichen Revolution. Wir waren schrill, bunt und laut. Unsere Soundtracks von harten E-Gitarren-Riffs getragen. Wir waren wechselhaft, überheblich und naiv. So scheiße naiv. Doch unsere Herzen waren aufrichtig; unsere Formen authentisch. Jesus Freaks halt. Es war die Zeit, in der wir irgendwie unsterblich waren. Eine Zeit, von der wir glaubten, sie würde nie zu Ende gehen. Doch schneller, als uns lieb war, war sie vorbei. Noch heute blicke ich manches Mal in Wehmut zurück.

„I need your healing hands
to be laid on this land,
just to make it fruitful,
so that I can stand.“

Ich bemerke, dass ich dieses fast schon vergessene Lied angefangen habe zu singen. Links und rechts von uns Felder, soweit das Auge reicht. Pralle Ähren schaukeln im milden Abendwind. Meine Tochter hat ihre Äuglein geschlossen. Von irgendwoher hallt das rhythmische Klappern einer S-Bahn, die über Schienen gleitet. Die Schatten werden länger. Das Gold der Sonne verblast. Vögel steigen in den Himmel empor und ziehen weite Kreise. Und mit einem Mal wird mir bewusst, dass die gesamte Schöpfung um mich herum schon längst in dieses fast vergessene Lied mit einstimmt…

„I give praise
to the king of kings.
I bow down
before you, Lord.
You forgive my sins.

Daddy,
turn me upside down,
I change my life
for you.
In your presence
I go mad,
Jesus,
I love you!“

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(Das zitierte Lied heißt “I surrender” und stammt aus der Feder von Kristian “Kuky” Reschke. Wollt Ihr mehr über Kuky erfahren, schaut doch mal hier vorbei: https://kristianreschke.wordpress.com/about/)