
Heiliger Rückzugsort

Ich stieg hinab. In die Tiefe. In den dunklen Schacht. Ich kann nicht sicher sagen, ob ich an einem Seil herunterkletterte oder an einer Leiter. Dunkelheit verhüllte, was mich unten erwarten sollte. Ganz unten am Grund.
Nach einigen wenigen Metern war da mit einem Mal diese bleiernde Traurigkeit. Sie verstopfte den Schacht vollkommen. Und keine Möglichkeit, sie zu umgehen. Sie drückte mir die Kehle zu. Sie streckte ihre Klauen von tief in mir drin nach mir aus. Und riss mich mit sich. Tränen stiegen auf. Ich realisierte, dass ich weinte. Aus tiefstem Herzen. Und mit meinem gesamten Wesen.
Mit jeder Träne, die meine Augen verließ, mit jedem Schluchtzer, der mir über die Lippen kam, stieg ich weiter hinab in dem dunklen Schacht.
Als ich unten angekommen war, standen meine Füße auf einer zentimeterdicken Schicht vertrockneter, brauner Blätter. Um mich herum breitete sich ein finsterer Wald aus. War es hier so finster, weil der Wald so tief und so dicht war? Oder weil es Nacht war?
Vor mir erhob sich eine prachtvolle Buche. Ihre pompöse Krone füllte fast mein gesamtes Sichtfeld aus. Einen rötlich goldenen Schimmer verströmte sie. Der Anblick hatte etwas Wärmendes.
Überwältigt stand ich vor diesem altehrwürdigen Baum. Regungslos und stumm betrachtete ich ihn. Ich ruhte in diesem friedvollen Moment. Von hinter mir aus konnte ich sehen, dass ich freimaurerisch gekleidet war. Die Silhouette des schwarzen Zylinders auf meinem Kopf zeichnete sich an der Buche ab.
„Der Du die Wälder färbst,
sonniger, milder Herbst,
schöner als Rosenblühn
dünkt mir Dein sanftes Glühn.
Nimmermehr Sturm und Drang,
nimmermehr Sehnsuchtsklang;
Leise nur atmest Du
tiefer Erfüllung Ruh.
Aber vernehmbar auch
klaget ein scheuer Hauch,
der durch die Blätter weht,
dass es zu Ende geht.“
(Ferdinand von Saar,
aus: Herbst)
„Eingewoben
in die Wälder,
in die Wiesen
und das Land
sind Akkorde,
die sich um uns drehen.
Und wenn dies geheime Wispern
schmeichelnd uns die Sinne raubt,
werden wir in Rausch des Klangs vergehen.
Hörst Du es
im sanften Wind,
in dem Blätterrauschen?
Hörst du es,
wenn nachts der Regen fällt?
Kannst Du nach dem Lärm des Tages
still dem Himmel lauschen?
Hörst Du leis
den Herzschlag dieser Welt?
Hörst du es
durch Dach und Wand?
Fern von den Planeten
singt es,
triffst Du nur das Zauberwort.
Wir wollen wieder schweigen lernen,
umso besser hört das Herz,
ist all der Lärm dieser Welt erst fort.“
(Bannkreis,
aus: Bannkreis)