Die Sache mit der Stille

STELLENWERT DER STILLE

Seit mittlerweile über drei Jahrzehnten gehe ich meinen spirituellen Weg. Ein Weg, auf dem ich auf ergreifende Weise angerührt worden bin und Momente des tiefsten Verbunden-Seins erlebt habe. Und ein Weg, auf dem es so manchen Bruch gegeben hat und so manches finstere Tal zu durchqueren war.

In einer dieser finsteren Zeiten des Zerbruchs bin ich mit einer Disziplin in Berührung gekommen, von der ich heute der Ansicht bin, dass sie das Rückgrat eines jeden spirituellen Weges darstellt: Stille. Egal, in welche spirituellen Traditionen ich tieferen Einblick erlangte – sei es christliche Mystik, Schamanismus, ZEN-Buddhusmus, Kabbala, Naturspiritualität – die persönliche Stille des Praktizierenden war immer eines der Herzstücken jedes dieser Wege. Lediglich die Bezeichnungen dafür unterschieden sich. So sprechen die meisten Traditionen von unterschiedlichen Formen der (transzendenten) „Meditation“, andere vom „Kontemplativen Gebet“, wieder andere von „Innerer Versenkung“ und so weiter. Unterschiedliche Begriffe, unterschiedliche Wege, ein Ziel: Der Einzelne beschreitet seinen eigenen Weg in die innere Stille.

Und ich stelle mal für das Freimaurertum folgende These auf: Auch das freimaurerische Ritual und die freimaurerische Symbolik können in dem einzelnen Freimaurer auf einer viel tieferen Eben wirken und sich viel stärker entfalten, wenn er parallel eine regelmäßige Routine der Stille hat. Denn: Rituale und Symbole wirken primär auf einer Ebene, die über das Rationale, das mit dem Verstand Verstehbare und Analysierbare, hinausgehen. Regelmäßige Stille lehrt einen das innere Versenken und Fokussieren auf das Wesentliche. Folglich ist es dem einzelnen Freimaurer dann auch im Ritual möglich, sich tiefer und fokussierter in Ritual und Symbolik reinzugeben, wenn er über eine regelmäßige Routine der Stille verfügt. So zumindest meine Hypothese, die sich aus meiner Erfahrung speist.

WIE ES BEGINNT

Nicht selten gleichen sich die einzelnen Lebensläufe der Praktizierenden: Am Anfang steht eine krisenhafte Situation, ein Bedürfnis, eine Sehnsucht oder ein Mangel, weshalb man sich auf den Weg in die Stille macht. Oftmals wird ein Seminar, ein Kurs, eine Veranstaltung besucht, auf der man mit Techniken, in die Stille zu gehen, vertraut gemacht wird. Und in der Regel sind die ersten Erfahrungen, die man in der Stille macht, dermaßen bewegend, dass man mit viel Enthusiasmus startet, seine eigene Stille zu erkunden und zu vertiefen.

Bei mir persönlich war es so, dass ich in der Stille irgendwann an einen inneren Ort gelangt bin. Ein Ort, an dem ich in mir ruhe und einfach nur bin. Ein Ort des Bewusstseins, Teil von etwas viel Größerem und eins mit allem zu sein. Ein Ort, an dem ich all das, was ich lieber verdränge und unterdrücke, zulassen kann, weil es dort keine Macht über mich hat. Daher nannte ich diesen Ort irgendwann „Mein Inneres Auge des Sturms“.

So wie ich das schreibe, klingt das alles wie ein Automatismus. Meiner Erfahrung nach ist das jedoch keineswegs so. Klar, Stille erfordert eigenes Zutun. Allerdings ist das, was einem in der Stille zuteil wird, nicht etwas, was der eigenen Kontrolle unterliegt oder was man irgendwie erzwingen könnte. Es ist Gnade; meiner Meinung nach göttliche Gnade. Das einzige, was ich dazu beitragen kann, ist, mich dafür zu öffnen.

ALS GRÜBE MAN EIN LOCH

Im Laufe der letzten Monate kam mir ein Vergleich in den Sinn. Das Suchen der Stille kann man mit dem Graben eines Lochs vergleichen.

Zu Beginn lernt man in der Theorie, welche Werkzeuge man benötigt und wie man damit ein Loch graben kann. Dann bekommt man die Werkzeuge ausgehändigt: Spaten, Spitzhacke, Schaufel, Axt. Und fängt an zu graben.

Je häufiger man hinabsteigt, um zu graben, und je länger man gräbt, desto tiefer wird das Loch. Manchmal muss man sich durch dichtes Wurzelwerk hindurcharbeiten. Manchmal verlangsamen und erschweren Steine das Graben. Und manchmal kann man den Spaten in die Erde wie durch weiche Butter treiben und stößt ungeahnt schnell in tiefste Schichten vor. Es bedarf Häufigkeit und Ausdauer beim Graben.

BEQUEMLICHKEIT

Ich habe jedoch auch die Erfahrung gemacht, dass das Graben des Lochs einschlafen kann. Denn auch, wenn einem dieses Graben viel geben kann, so erfordert es doch Zeit und Aufwand. Und so war es bei mir so, dass die Stille in der Priorität der alltäglichen Verpflichtungen stückweise nach hinten rutschte und ich zu bequem wurde, sie zu suchen.

Mit der Zeit gelangten Erde, Blätter, Äste und Gestein in das Loch und breitete sich das Wurzelwerk erneut darin aus. Irgendwann war meine persönliche Stille nicht mehr als eine Erinnerung an das, was ich irgendwann mal mit ihr erlebt hatte.

Erstaunlich war für mich hierbei nur, wie lange diese Erinnerung mich trug. Sie war wie ein kleiner wohliger Ort von Verbundenheit und Frieden in mir, der mich wärmte, von dem ich zehrte und der das Bewusstsein in mir wachhielt, dass ich Teil etwas viel Größerem bin.

Auf der anderen Seite jedoch bemerkte ich, dass ich im Kleinkrieg des Alltags meine Mitte verlor, je länger ich nicht die Stille suchte. Ich merkte, dass ich zunehmend zum Getriebenen wurde. Getrieben von den alltäglichen Umständen und Verpflichtungen. Getrieben von meinen Verlangen und meinen Schwächen. Schnell gereizt, schnell fahrig, schnell ungerecht meiner Umwelt gegenüber. Entwurzelt.

Und je länger ich der Stille fernblieb, desto schwerer fiel mir der Weg zurück zu ihr. Irgendwann bemerkte ich, wie sich Angst davor, in die Stille zu gehen, wie ein Geschwür in mir ausbreitete. Angst vor dem, was mich in der Stille erwarten könnte. Angst davor, dass negative Kräfte oder dämonische Wesenheiten von mir oder dem Raum um mich herum Besitz ergreifen könnten, sobald ich loslasse und mich der Stille öffne.

WO ICH EINST GEGRABEN HATTE

Ich habe in meinen letzten beiden Blogartikeln hier und hier) angedeutet, dass ich seit eineinviertel Jahr in einem Prozess stecke, in dem ich mich verschiedenen Aspekten und Facetten meines Lebens und meiner Vergangenheit, die ich bislang unter großem Aufwand ganz weit in mir weggeschlossen hatte, zu stellen und aufzuarbeiten habe.

Zu einem wichtigen Werkzeug entwickelt sich hierbei seit nunmehr vielen Wochen (wieder) mein Gang in die Stille. Aller Angst zum Trotze. Denn vor vielen Wochen hatte ich mein verstaubtes und mit Spinnenweben eingesponnenes Grabewerkzeug wieder hervorgekramt. Und den Platz aufgesucht, an dem ich einst mein tiefes Loch gegraben hatte. Die Stelle, an der mein Loch damals in die Tiefe geführt hatte, war noch deutlich auszumachen. Und dann fing ich an, es wieder freizulegen. Spatenstich um Spatenstich, Axthieb um Axthieb. Schnell hatte ich wieder drauf, wie ich mein Werkzeug zu führen habe. Alsbald stieß ich auf besagte Schicht der Angst, die sich breitgemacht hatte. Allerdings war ich überrascht, wie vergleichsweise schnell ich diese Schicht durchbrochen und hinter mir gelassen hatte. Doch auch, wenn ich an derselben Stelle schon einmal ein Loch gegraben hatte, so war ich doch überrascht, wie fordernd sich dieses erneute Graben gestaltete. Wieviel Disziplin, Anstrengung und Ausdauer es erforderte. Doch je tiefer ich kam, desto klarer vernahm ich die Stimme, die da zu mir sprach: „Herzlich willkommen zu Haus…“

#Gedanke: Meiner Lust und Wehen Aufenthalt

„O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen Aufenthalt.
Da draußen stets betrogen,
saust die wilde Welt,
schlag den Bogen
nun um mich, Du grünes Zelt.

Da steht im Walde geschrieben
ein stilles, ernstes Wort
vom rechten Tun und Lieben.
und des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
die Worte schlicht und wahr
und durch mein ganzes Wesen
drang es unaussprechlich klar.

Und mitten in dem Leben
wird deine Urgewalt
mich Einsamen erheben,
so wird mein Herz nicht alt.“

(Faun,
aus: „Abschied“)

#Gedanke: Die nächsten vierzig Tage

„Ab an das Meer,
in den Wald,
in die Wüste,
ganz egal,
für die nächsten vierzig Tage
brauchst Du Nerven wie Stahl.

Der ganze Dreck,
all die Lügen,
müssen raus,
müssen weg,
denn nur unter dem Kern
liegt die Wahrheit versteckt.

Wir sind eine Welle,
die Eure Dämme bricht!
Es ist wieder an der Zeit
neue Fragen zu stellen,
und so mehr die Fragen stellen,
desto höher die Wellen.

Der Tag wird kommen,
an dem Du Dich erkennst,
und Du nur noch Deine Seele
mein Ein und Alles nennst.“

(Tausend Löwen unter Feinden,
aus: „Welle“)

#Gedanke: Atem in Gott

„Es gibt den innerlichen Atem der Seele,
die in Gebet und Meditation Gott ebenso atmet,
wie der Leib die Luft.

Jener ist der Atem der Gesundheit,
dieser ist der der Religion.

Und wie der Mensch die Luft zum Atmen braucht
für sein leibliches Leben,
so braucht er auch den Atem in Gott,
das Gebet und die Meditation der Religion,
für sein seelisches Leben.“

(Valentin Tomberg)