Wörter und Götter und so

NICHTS NEUES UNTER DER SONNE?

Im Januar 2018 erschien das Buch „Wörter machen Götter“ des Freimaurers Klaus-Jürgen Grün. Ein Buch, in dem er Stellung bezieht. Nicht nur für ein humanistisch atheistisch geprägtes Freimaurertum. Sondern auch explizit gegen den christlichen Freimaurerorden (Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland – GLLvD). Ein Buch, das polarisiert und innerhalb des deutschen Freimaurertums für verbitterte Auseinandersetzungen und Anfeindungen gesorgt hat.

Bruder Grün gehört der vorwiegend humanistisch ausgerichteten freimaurerischen Richtung der „Alten freien und angenommenen Maurer von Deutschland“ (AfuaM) an. Bereits in der Vergangenheit hat er Veröffentlichungen verschiedenster Art herausgebracht, die sich von einem humanistischen Standpunkt aus kritisch mit den Fragen der Religion und des Gottesglaubens auseinandersetzen. Nur konsequent stellt er auch die esoterisch spirituellen Bezüge im Lehr-, Symbol- und Ritualgebäude der ersten drei Johannisgrade des Freimaurertums in Frage. Folgerichtig hinterfragt er dasselbe in den unterschiedlichen Systemen der (Hoch-) Grade, die auf die ersten drei Johannisgrade folgen (können). Denn in diesen werden regelhaft die esoterisch spirituellen Aspekte des Freimaurertums aufgegriffen, vertieft und erweitert.

Die Auseinandersetzungen, ob der freimaurerische Weg einen wie auch immer gearteten Gottesbezug benötigt und ob Symbol und Ritual des Freimaurertums immer auch eine esoterisch spirituelle Dimension innewohnen muss, sind so alt wie das Freimaurertum selbst. Auch heute werden sie geführt. Viel zu häufig. Gerne auch voller Inbrunst. Und nicht selten kräftig unter die Gürtellinie (siehe hier).

Ich selbst habe mich auf meinem Blog zu diesem Thema klar positioniert (siehe hier). Doch ich habe auch die freimaurerischen Standpunkte, die konträr zu den meinen stehen, als gleich-berechtigt auf meinem Blog zugelassen (siehe hier und hier).

Das Streitthema, zu dem Bruder Klaus-Jürgen Grün sich äußert, ist also kein neues. Und auch sein Werk „Wörter machen Götter“ ist nicht seine erste Verlautbarung dazu. Warum also hat es nun solch einen Wirbel ausgelöst und so viel Unfrieden in das deutsche Freimaurertum getragen?

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich selbst habe das Buch von Bruder Grün nicht gelesen. Doch kenne ich mittlerweile seitenweise Zitate daraus und habe auch mehrere Rezensionen gelesen. Das langt nicht, um fundiert inhaltlich zu diskutieren. Aber es langt, um mir ein Bild über den Stil dieses Buches zu machen. Und um Fragen zu stellen…

POTENTIAL DER VERLETZUNG

Ich glaube, das, was am schwersten an dem Buch von Bruder Grün wiegt, ist, dass er dem gesamten christlichen Freimaurerorden pauschal jegliche Regularität abspricht. Dies tut er mit einer Absolutheit und einer Vehemenz, die jeden Andersdenkenden automatisch ausgrenzt. Und damit verlässt er die Ebene der gleichberechtigten Begegnung und des gleichberechtigten Austausches. Er stellt ein Über-Unter-Verhältnis her. Dadurch schafft er die gleiche Ausgangssituation, wie sie religiöse Fundamentalisten gegenüber Ungläubigen schaffen. Auf der einen Seite steht der „Gläubige“, der im Besitz der „absoluten Wahrheit“ über etwas ist. Und auf der anderen Seite steht der „Ungläubige“, der einen großen Makel hat, so lange er diese Wahrheit nicht vollständig übernommen hat. Das treibt Bruder Klaus-Jürgen Grün so weit, sich sogar anzumaßen, selber besser beurteilen zu können, wie der einzelne Ordensfreimaurer das eigene Ordensritual und den Begriff des „Dreifach großen Baumeisters“ zu verstehen und für sich auszufüllen und zu leben hat.

Weiter wählt er bezogen auf den Freimaurerorden eine Wortwahl, die vor allem dazu geeignet ist, die Gefühle religiöser Menschen zu verletzen. Und auch so manche Schlussfolgerung, die er bezüglich des Freimaurerordens zieht, ist bestenfalls plakativ und provozierend; schlimmstenfalls aber irgendwo zwischen übler Nachrede und Rufmord anzusiedeln.

So überrascht es nicht, dass mir einiges, was ich aus diesem Buch las, tiefe und schmerzhafte Stiche versetzt hat. Es verlangte mir einiges an Impulskontrolle ab, mich nicht ebenfalls mit wehenden Fahnen und gewetzten Messern in die entflammten Kontroversen zu stürzen.

Eine bittere Erkenntnis, die mir die ganzen vorangegangenen Auseinandersetzungen um Gott und Spiritualität innerhalb des Freimaurertums gebracht hatten, war, dass Fundamentalismus kein Merkmal ist, das sich nur in den Religionen finden lässt. Viel zu oft hatte ich erleben müssen, dass humanistische und atheistische Brüder dieselben Argumentationsweisen, denselben Absolutheitsanspruch und dieselbe Toleranzfähigkeit an den Tag legten wie religiöse Fundamentalisten. In diesen Fällen war lediglich das religiöse Dogma durch ein nichtreligiöses ersetzt worden. Und das Buch von Bruder Grün setzt leider ein dickes Ausrufezeichen hinter diese Beobachtung.

Wie es scheint sind auch die „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ (VGL) zu einer ganz ähnlichen Einschätzung über dieses Buch gekommen. In der VGL haben sich die fünf eigenständigen Großlogen, die die Johannisgrade auf deutschem Boden bearbeiten, zusammengefunden. Unter anderem auch die Großloge AfuaM und der christliche Freimaurerorden. Und der Senat der VGL – in dem die Großloge AfuaM aus Proportsgründen die Mehrheit stellt – hat das Buch einstimmig als „Hetzschrift“ eingeordnet.

AUS DER GESCHICHTE NICHTS GELERNT?

Das letzte Mal, dass eine freimaurerische Richtung einer anderen freimaurerischen Richtung die Rechtmäßigkeit in derart massiver Weise abgesprochen hat, war in den Zeiten des aufstrebenden Nationalsozialismus. Doch damals war es genau umgekehrt. Damals war es der christliche Freimaurerorden, der seinen humanistischen Brüdern die Existenzberechtigung absprach. Dies geschah auch, um sich dem Nationalsozialismus bis zur Aufgabe der eigenen Identität anzubiedern.

Das Ende vom Lied ist hinlänglich bekannt. Wenn überhaupt, dann lieferte das Verhalten des Freimaurerordens lediglich den Feinden des gesamten Freimaurertums Munition. Und schlussendlich wurden alle Richtungen des Freimaurertums verboten und verfolgt.

Meinem Verständnis nach ist der christliche Freimaurerorden damals seinen humanistischen Brüdern gegenüber schuldig geworden. Inwiefern dies aufgearbeitet worden ist und eine Aussöhnung stattgefunden hat, kann ich (noch) nicht abschließend beurteilen.

Doch dieses freimaurerische Kapitel hat mich sensibilisiert für die Verantwortung, die jeder einzelne Freimaurer für das trägt, was er öffentlich von sich gibt. Das gilt ganz besonders für die heutige Zeit, in der am rechten politischen Rand und in Reihen konservativ dogmatischer Christen wieder die wirrsten Verschwörungstheorien entstehen und verbreitet werden, woran „die Freimaurer“ denn so alles Schuld seien. Bruder Klaus-Jürgen Grün war sich seiner Verantwortung offenbar nicht bewusst, als er sein Buch schrieb.

TRENNENDES UND VERBINDENDES

Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt für Menschen nur zwei grundsätzliche Arten, miteinander umzugehen. So kann man entweder betonen, was einen verbindet. Oder man kann betonen, was einen trennt. Was für die Menschheit im Allgemeinen gilt, gilt für die Bruderschaft der Freimaurer im Besonderen.

Und von dem Moment an, wo Dogmatismus Spiel kommt, wird immer das Trennende betont. Denn Dogmatismus geht von einer „feststehenden Definition oder einer grundlegenden, normativen Lehraussage“ aus, „deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird“ (vergleiche Wikipedia). Das bringt mit sich, dass jede Anschauung und jeder Mensch, der mit dieser Lehraussage nicht konform geht, ausgegrenzt wird.

Bruder Grün spricht mit seinem Buch ganz klar die Sprache eines Dogmatikers. Er betont das Trennende. Und absolutiert diesen Standpunkt. Er stellt sein Dogma über brüderliche Begegnung. Ebenso gut hätte er ein Buch darüber schreiben können, was das christliche und das humanistische Freimaurertum verbindet. Dieses Buch wäre wahrscheinlich um einiges länger und umfangreicher geworden. Stattdessen ergießt er sich darin zu betonen, was beide Lager voneinander trennt.

Und er sieht in diesen Unterschieden nichts, was bereichert oder im positiven Sinne herausfordert. Sondern nur etwas, was ausgelöscht gehört. Das zeigt, dass er von einer Art gleichgeschalteter Einheitsfreimaurerei auszugeht. Und in dieser hat nur Platz, wer einer humanistisch atheistischen Überzeugung anhängt, wie Bruder Klaus-Jürgen Grün sie definiert.

VIELFALT UND VERWURZELUNG

Das ist wahrscheinlich der Punkt, an dem ich am weitesten mit ihm auseinanderliege. Für mich sind die unterschiedlichen und bisweilen auch gegensätzlichen Facetten, die sich im Freimaurertum wiederfinden, eine der größten Stärken dieser Bruderschaft. Für mich ergänzen und bereichern diese sich gegenseitig.

Denn das, was diese unterschiedlichen Brüder miteinander verbindet, ist das Erleben des freimaurerischen Rituals und der freimaurerischen Symbolik. Und dies verbindet auf einer viel tieferen Ebene, als dass der Buchstabe des Dogmas jemals dringen könnte. Das ist meines Erachtens das „berühmte“ freimaurerische Geheimnis.

Aus diesem Grund bin ich gerne bereit, die Spannungen, die diese freimaurerische Vielfalt mit sich bringt, auszuhalten und mitzutragen. Und mit dieser inneren Haltung begegne ich auch den freimaurerischen Brüdern, die mir – wie Bruder Grün – absprechen, ihr Bruder zu sein. Natürlich erfordert dies ein hohes Maß an Ausdauer und Leidensfähigkeit und auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Aber die Begegnungen und der Austausch, die es mit sich bringt, wiegen das allemal auf.

Wahrscheinlich wäre es sehr viel einfacher, mich in meiner eigenen freimaurerischen Wagenburg zu verschanzen und alles zu bekämpfen, was meine kleine, heile Welt in Frage stellt. Es wäre der Weg des geringsten Widerstands. Der Weg, den Bruder Klaus-Jürgen Grün mit seinem Buch gewählt hat. Aber dieser Weg ist eben nicht meiner.

Nur um eines ganz klar zu sagen: Dieses bewusste Aushalten und Annehmen der Spannungen zwischen den unterschiedlichen freimaurerischen Richtungen hat nichts mit Beliebigkeit, Gleichgültigkeit oder Ignoranz zu tun. Natürlich habe ich eine ganz klare Verwurzelung in der Lehrart des christlichen Freimaurerordens. Und diese Verwurzelung ist bewusst gewählt. Ich kann sie begründen und ich schätze sie. Trotzdem sehe ich in den anderen Lehrarten keine Bedrohung für meinen eigenen freimaurerischen Weg. Sondern etwas, das meinen Weg ergänzt, bereichert und im positiven Sinne herausfordert. In dem Freimaurertum, für das ich stehe, haben Atheisten ebenso Platz wie Gottesgläubige, die unterschiedlichen Agnostiker ebenso wie ganze Bandbreite der spirituell Suchenden, Gnostiker und Mystiker. Und so weiter. Der viel zitierte Satz „Einheit in Vielfalt“ ist für mich keine hohle Phrase, sondern gelebte Wirklichkeit.

Und dieser Satz findet für mich organisatorischen Ausdruck in der VGL. Meines Erachtens tut es dem christlichen Freimaurerorden und der Großloge AfuaM nur gut, durch diesen Dachverband in regelmäßiger Kommunikation zu stehen und sich immer wieder miteinander auseinandersetzen zu müssen. Ohne die VGL bestünde die Gefahr, dass beide Großlogen zu sehr in ihrem eigenen Saft schmoren.

BLUTENDE WUNDEN UND OFFENE FRAGEN

Mein Bruder und Freund René Schon meinte zu mir, dass Bruder Grün in seinem Buch interessante und schlüssige Thesen in Bezug auf die Gottesfrage bringt. Das stelle ich nicht in Abrede. Ich las an verschiedener Stelle, dass Bruder Klaus-Jürgen Grün ein „brillanter Geist“ sein soll. Doch ein Buch ist grundsätzlich nicht nur nach seinem Inhalt zu bewerten, sondern auch nach seinen Auswirkungen.

Und diese sind überwiegend destruktiver Natur. Denn dieses Buch hat schmerzhafte Kreisläufe der gegenseitigen Verletzungen angestoßen. Es hat Gräben gerissen zwischen Menschen, die sich als Brüder begegnen sollten. Es hat die „freimaurerische Ökumene“ um Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, zurückgeworfen. Die Wunden, die es gerissen hat, werden noch lange bluten. Und die Narben wird man noch wesentlich länger sehen.

Für mich bleibt die Frage, welche Absicht Bruder Grün verfolgt hat. Er bringt ein Buch heraus, das von seinem Inhalt und von seiner Machart her geeignet ist, maximalen Flurschaden innerhalb des deutschen Freimaurertums anzurichten. Welche Folgen dieses Werk haben wird, muss ihm vorher bewusst gewesen sein. Schließlich ist er lange genug Freimaurer und kennt die unterschiedlichen Richtungen gut genug, um das abschätzen zu können.

War es seine Absicht, möglichst viele Brüder, die er unmöglich alle persönlich kennen konnte – Brüder wie mich -, stumpf zu verletzen? Oder suchte er den Skandal, um gute Verkaufszahlen zu generieren? Oder nutzt er das Buch, um eine persönliche Fehde auszutragen? Glaubt er tatsächlich, dass seine destruktive Art und Weise geeignet ist, das deutsche Freimaurertum in seine Richtung zu verändern? Wollte er nur einen Impuls setzen, der ihm letztendlich komplett entglitten ist? Oder wollte er den Bruch zwischen dem christlichen Freimaurerorden und der Großloge AfuaM herbeizuführen; mit dem Ziel, dass einer oder sogar beide die VGL verlassen?

Egal, was die Motive von Bruder Klaus-Jürgen Grün auch gewesen sein mögen, der Kollateralschaden, den dieses Buch mit sich bringt, steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den es haben könnte. Es zeigt sich wieder mal: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

44 Gedanken zu “Wörter und Götter und so

  1. „Doch ein Buch ist grundsätzlich nicht nur nach seinem Inhalt zu bewerten, sondern auch nach seinen Auswirkungen.“

    Lieber Hagen,

    ich stimme dir ganz ausdrücklich nicht zu. Ein Buch ist einfach die veröffentliche Sichtweise eines Menschen. Welche Auswirkungen meine Sichtweise auf andere haben wird, liegt nicht in meiner Hand. Der Leser kann sich mit dem Inhalt auseinandersetzen oder nicht, kann zustimmen oder nicht zustimmen, kann das Buch verbrennen oder verschenken, … es liegt alles ganz bei ihm. Der Autor kann über die Reaktionsweise des Lesers in keiner Weise befinden.

    Wenn ich dem Autor die Verantwortung für die Reaktion der Leser zuschreibe, landen wir ganz schnell mitten in der Inquisition.

    Nein, lieber Hagen, für deine Gefühle bist ganz allein du verantwortlich. Das ist meine veröffentlichte Sichtweise.

    Herzlichst
    Wilhelm

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  2. Mein lieber Bruder Hagen,
    ich als ehemaliger Ordensbruder (18 Jahre) und heutiger Vertreter eines liberalen GrossOrient in Deutschland, möchte nicht viele Worte machen, einfach nur ich unterstreiche Deine Wahrnehmungen und kann Dir nur beipflichten, das Buch von Klaus-Jürgen Grün hätte garnicht erst geschrieben werden sollen. Leider hat die ganze Auseinandersetzung damit dafür gesorgt,dass die ganze Auflage ausverkauft ist und das wird den Autor und den Verlag freuen.

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    • Lieber Bruder Hans-Joachim,

      Ich weiß gar nicht, ob meine Konsequenz wäre, dass das Buch nicht hätte geschrieben werden dürfen. Klar, vieles aus dem Buch hat mich verletzt, das Buch hat für Entzweiung gesorgt und ich bin mir nicht sicher, was die Motivlage von Bruder Klaus-Jürgen Grün angeht. Aber ist die Konsequenz tatsächlich, dass er es nicht hätte schreiben dürfen?

      Lies mal die anderen Disskussionsstränge zu meinem Blogartikel. Da werden von verschiedenen Schreibern viele interessante Gedanken zu dem Thema gebracht und diskutiert.

      Mich persönlich würde übrigens Dein Weg vom christlichen Freimaurerorden zum liberalen GroßOrient interessieren. Was war der Grund für diese Veränderung? Kannst mir diesbezüglich gerne auch eine E-Mail an hagen_unterwegs@gmx.net schreiben.

      Gesegneten brüderlichen Gruß!

      Hagen

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  3. Ich, scheinbar ein Mensch seit 76 Jahren und heutiger Vertreter des Geistes von Bodhidharmas Ausspruch „Offene Weite – nichts von heilig“ messe die Liberalität eines Verteters etwa des „liberalen GrossOrients in Deutschland“ nicht an seinem klangvollen Namen, sondern an seinem Verhalten. CDU/CSU berufen sich auf Christus, und alle wissen, was sie davon zu halten haben. Die Aussage „Das Buch von Klaus-Jürgen Grün hätte gar nicht erst geschrieben werden sollen.“ grenzt für mich, bitte nur für mich, fast schon an Bücherverbrennungen aus unseligen Zeiten. Ich kenne das Buch nicht, ich muss es nicht kennen, aber ich verteidige die Freiheit von Klaus-Jürgen Grün, seine Sichtweise zu veröffentlichen. Heute haben wir das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ von Maas, wollen jetzt auch die Freimaurer, die doch angeblich für Freiheit, Toleranz und Aufklärung stehen, auch mit der Zensur anfangen? Oder haben sie schon längst damit begonnen? Lessing würde sich im Grab umdrehen.

    Lieber Hagen, ganz persönlich an dich: Bodhidharma war der Begründer des chinesischen Zen, wie du sehr wohl weißt. Zen kennt keine Zensur. Und wenn du dich verletzt fühlst, ist dies nur ein Impuls zu schauen, was da verletzt wird..Verletzt werden können immer nur Vorstellungen, denen du glaubst. Du – kannst nicht verletzt werden. Wenn du da trennst und einer Vorstellung von „brüderlichem Verhalten“ folgen willst, verabschiedest du dich vom Zen. Niemand kann auf zwei Pferden reiten. Weißt du ja.

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    • Lieber Wilhelm!

      Vielen Dank für Deine klaren und für mich recht harten Worte (aber genau deswegen schätze ich den Austausch mit Dir ja so).

      Schreiben ist für mich eine Art, Dinge zu verarbeiten. Als ich den Artikel schrieb, stiegen zwei Fragen in mir auf, die ich für mich noch nicht abschließend beantwortet habe.

      Die erste ging in dieselbe Richtung wie Deine Frage, nämlich: Was genau in mir hat sich denn da verletzt gefühlt? Das, was ich immer so hochgestochen als mein „Wahres Selbst“ bezeichne, kann es nicht gewesen sein, denn das ist für solche Angriffe nicht empfänglich. Es scheint eher mein „Falsches Selbst“ gewesen zu sein. Der Anteil in mir, der sich über Äußerlichkeiten (in diesem Falle das Ordensfreimaurer-Sein) definieren muss.

      Deine Aussage „Verletzt werden können immer nur Vorstellungen, denen du glaubst. Du – kannst nicht verletzt werden. Wenn du da trennst und einer Vorstellung von „brüderlichem Verhalten“ folgen willst, verabschiedest du dich vom Zen. Niemand kann auf zwei Pferden reiten.“ legt den Finger, glaube ich, ganz gut in die Wunde bei mir. Nur was mache ich jetzt bloß mit dieser Wunde?

      Die zweite Frage war: Worauf richte ich eigentlich meine Energie aus? Tatsächlich auf Auseinandersetzungen, bei denen es um Weltbilder geht? Habe ich denn nicht gelernt, dass diese Art der Auseinandersetzungen mehr Energie raubt, als sie gibt und einfach nichts bringt? Genügend Möglichkeiten zum Lernen hatte ich auf jeden Fall gehabt.

      Ich stimme Dir zu, dass es mein Problem ist, wenn ich mich durch etwas Geschriebenes verletzt fühle. Aber entbindet das den Schreiber von seiner Verantwortung? Gibt ihm das das Recht, bewusst so zu schreiben, dass er andere Menschen verletzt? Entbindet das etwa Hitler von seiner Verantwortung für „Mein Kampf“? Setzt ein Werk nicht einen verantwortungsbewussten Autoren, genauso wie einen verantwortungsbewussten Leser voraus?

      Herzlichen Gruß!

      Hagen

      Gefällt 2 Personen

      • Lieber Hagen,

        guck ich wollte nicht hart sein, nur klar. Dennoch hast du meine Worte als recht hart empfunden und möglicherweise haben sie dich verletzt. So ist das nun mal, wenn wir unsere Sichtweise äußern. Wir haben die Reaktion eines anderen nicht in unserer Hand und können deshalb auch nicht für sie verantwortlich sein.

        Du fragst: „Aber entbindet das den Schreiber von seiner Verantwortung? Gibt ihm das das Recht, bewusst so zu schreiben, dass er andere Menschen verletzt? Entbindet das etwa Hitler von seiner Verantwortung für ‚Mein Kampf‘? Setzt ein Werk nicht einen verantwortungsbewussten Autoren, genauso wie einen verantwortungsbewussten Leser voraus?“

        Ich vermute, meine Antwort wirst du nicht nachvollziehen können oder wollen: Adolf Hitler ist für sein Geschreibsel nicht verantwortlich. Er konnte nur schreiben, wie er schreiben konnte. Ein „verantwortungsbewusster Autor“ ist ein mit einer Ich-Vorstellung identifiziertes Bewusstsein, das glaubt verantwortlich sein zu können. Bist du verantwortlich für deinen nächsten Gedanken? Verantwortung haben zu können, ist auch nur ein Gedanke. „Die Arbeit am rauen Stein“ ist nur die Vorstellung, dass ein angeblicher Jemand an sich selbst arbeiten könne.

        Du schreibst von einem „falschen Selbst“. Buddha sprach vom Nicht-Selbst (anatta), was bedeutet, dass jede Vorstellung von einem Selbst falsch ist. Es gibt kein richtiges Selbst. Alles geschieht, wie es geschieht und wir haben keine Ahnung, warum es so geschieht, wie es geschieht.

        Du hast in deinem Beitrag von Brüderlichkeit gesprochen. Ich möchte jetzt nicht auch noch diesen Begriff in Frage stellen, aber wenn er überhaupt einen Sinn haben soll, dann bedeutet er für mich, dass wir uns selbst und uns gegenseitig unsere Wahrheit schenken. Wenn ich sie ausdrücke, will ich dich damit keineswegs verletzten. Es ist mein Geschenk an dich.

        Herzlichst
        Wilhelm

        Glaubst du, dass ich weiß, was ich tue?
        Dass ich auch nur einen Atemzug lang
        oder einen halben mir selbst gehöre?
        So wie eine Feder weiß, was sie schreibt,
        oder der Ball ahnen kann, wo er hin rollen wird.

        (Dschalal ad-Din Muhammad Rumi)

        Gefällt 4 Personen

        • Mein lieber und geschätzter Wilhelm!

          Ich empfand Deine Worte als „hart“ im Sinne von „klar“, aber nicht verletzend. Ich hätte keine Hemmungen gehabt, sie Dir gegenüber auch als verletzend zu benennen.

          Wir beide haben ja so zwei, drei Punkte, an denen wir uns reiben. Der aktuellste ist der nach der Frage von Schuld und Verantwortung für das eigene Tun. Als wir anderer Stelle diesbezüglich über das Dritte Reich schrieben, sprachst Du von „amoralischer Weisheit“. Jetzt schreibst Du „Adolf Hitler ist für sein Geschreibsel nicht verantwortlich“.

          Und an der Stelle liegen wir auseinander. Ich glaube, alles, was wir tun hat Konsequenzen. Und daher glaube ich auch, dass jeder – im Rahmen seiner Möglichkeiten – die Verantwortung trägt, sein Tun vorher auf die möglichen Konsequenzen hin abzuchecken.

          Klar, wenn ich meiner Frau sage „Du bist eine dumme Fotze!“ und sie sich verletzt fühlt, kann ich sie danach fragen, welcher Anteil von ihr sich denn verletzt fühlt und warum. Ich kann aber auch das mit einbeziehen, was ich von meiner Frau bisher kennengelernt habe. Tue ich dies, weiß ich, die Wortwahl wird sie verletzen. Das bedeutet für mich, dass ich meine Kritik an ihr anders ausdrücke.

          Genau diese Verantwortung habe ich auch, wenn ich einen Blogartikel schreibe, hatte Hitler, als er „Mein Kampf“ schrieb und hatte Bruder Grün, als er „Wörter machen Götter“ schrieb.

          Wie gesagt, ich nehme die Kritik, dass es „mein Problem“ ist, dass Bruder Grüns Buch mich verletzt, für mich an. Und ich gehe dem für mich nach.

          Wenn es aber um konkretes zwischenmenschliches Zusammenleben geht, dann steht nicht nur der „Empfänger“ in der Verantwortung, sondern auch der „Sender“. Ich mag es nicht, solche komplexen Vorgänge einseitig in eine Richtung aufzulösen. Meine Erfahrung ist, dass „die Wahrheit“ meist „dazwischen“ liegt und je nach konkreter Situation Anteile von beiden Herangehensweisen enthalten kann.

          Du schreibst: „Du schreibst von einem „falschen Selbst“. Buddha sprach vom Nicht-Selbst (anatta), was bedeutet, dass jede Vorstellung von einem Selbst falsch ist. Es gibt kein richtiges Selbst. Alles geschieht, wie es geschieht und wir haben keine Ahnung, warum es so geschieht, wie es geschieht.“ Ich glaube, ich meine mit dem Begriff „Wahres Selbst“ dasselbe wie Buddha mit dem „Nicht-Selbst“. Ich merke aber auch, dass ich von dem Moment an, wo ich es als „Wahres Selbst“ (oder auch „Nicht-Selbst“) beschreibe, ich es bereits definire und in meine Vorstellungen zwänge. Bleibt dann nicht viel über von diesem „Großen Ganzen“, diesem „undefinierbaren Sein“ (und selbst das sind wieder nur Definitionen, aaarrrgh)…

          Herzlichen und gesegneten Gruß!

          Hagen

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          • Lieber Hagen,

            darüber zu diskutieren macht wenig Sinn. Da du zumindest theoretisch weißt, worum es im Zen geht, kann ich dich nur auf deine Meditationserfahrung verweisen und dich fragen: Hast du in deiner Meditation je eine Entität namens „Ich“ entdeckt, die überhaupt so etwas wie Verantwortung übernehmen könnte? Wenn nicht, dann ist deine Verantwortung nichts als ein Konzept und zwar in demselben Maße, wie der angebliche Denker deiner Gedanken.

            Einen herzlichen Gruß
            Wilhelm

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            • Lieber Wilhelm!

              Meine Stille beginnt in der Regel beim „Ich“. Und meistens bleibt sie auch in diesem „Ich“ hängen.

              Nur vereinzelt erlebte ich, dass ich in einer Verbundenheit aufging, in der dieses „Ich“ nicht mehr präsent war. Und folglich waren auch Themen wie Ethik und Moral, Verantwortung oder irgendwelche Gedanken weder präsent noch relevant.

              Zugang zu diesem Bewusst-Sein finde ich im Alltag allerdings nur selten. Wahrscheinlich ist wohl alleine der Ansatz, dazu „Zugang finden zu wollen“ schon grund falsch … weil ich dieses Bewusstsein ja bereits bin. Aber das ist nun einmal der Punkt, an dem ich stehe: Ich durfte kosten. Doch das, wovon ich gekostet habe, schmecke ich im Alltag viel zu selten. Verstehst Du, was ich meine?

              Das nächste Problem ist, dass die Menschen, mit denen ich tagtäglich verkehre, in der Regel auch nicht in diesem Bewusstsein verankert sind und daraus leben. Damit gilt es umzugehen. Ich kann zwar bestimmte Voraussetzungen für mich annehmen (z.B. meine Reaktion auf besagtes Buch ist mein Problem und nicht das vom Autoren), aber ich kann nicht erwarten, dass andere ebenfalls von diesen Voraussetzungen ausgehen. Das wiederum wirft Fragen nach Rücksichtnahme auf…

              Einen nicht minder herzlichen Gruß zurück!

              Hagen

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              • Mein lieber Hagen,

                lassen wir mal „die anderen“ aus dem Spiel. Du schreibst:

                „Nur vereinzelt erlebte ich, dass ich in einer Verbundenheit aufging, in der dieses ‚Ich‘ nicht mehr präsent war. Und folglich waren auch Themen wie Ethik und Moral, Verantwortung oder irgendwelche Gedanken weder präsent noch relevant.“

                Jetzt frage ich dich, was für dich wirklich, was nur scheinbar wirklich ist: Die Momente, in denen dieses „Ich“ nicht mehr präsent war oder die mehr oder weniger ständige Zeit der Anwesenheit einer Ich-Vorstellung. Es geht ja nicht darum, irgendetwas zu ändern oder „Zugang finden zu wollen“, sondern nur darum zu sehen, was wirklich und was nicht wirklich ist. Und dann guck einfach mal, was für dich Priorität hat. Du weißt ja: Niemand kann zwei Herren dienen.

                Herzlichst
                Wilhelm

                Gefällt 2 Personen

          • Übrigens lieber Hagen,

            weißt du, wie ich das nenne, was du da mit der „dummen Fotze“ treibst? Ich nenne das Manipulation. In diesem Augenblick war vielleicht „dumme Fotze“ deine Wahrheit, im nächsten Augenblick hätte dir vielleicht der Ausdruck total leid getan und du hättest deiner Frau dein abgrundtiefes Bedauern ausgedrückt und sie um Verzeihung gebeten (auch wenn es nichts zu bedauern und nichts zu verzeihen gibt).. Du jedoch berufst dich auf deine Vernunft und deine Verantwortung, du glaubst, alles fest im Griff zu haben. Das ist eine reine Halluzination. Diese „Du“ ist totale Einbildung. Und es ist eine Lüge. Und wenn deine Frazu eine sensible Frau ist, wird sie spüren, dass du sie vielleicht einen Augenblick am liebsten schlagen würdest, ihr dann aber doch lieber mit verkniffenem Gesicht irgendeine nette Lüge erzählst oder „vernüftig“ mit ihr redest.

            Zen zielt nicht auf anständiges Verhalten ab, sondern verweist nur darauf, dass da niemand in dir zu finden ist, der du angeblich bist. Also auch niemand, der Verantwortung übernehmen könnte.

            Herzlichst
            Wilhelm

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            • Lieber Wilhelm!

              Es geht mir nicht um „anständiges Verhalten“. Scheiß auf anständiges Verhalten! Was ist das überhaupt? Wer definiert das?

              Es geht um Empathie! Wenn ich meine Frau nicht „dumme Fotze“ nenne, obwohl dies in dieser Situation „meine Wahrheit“ ist, dann tue ich dies, weil es mir schmerzt, sie damit zu verletzen. Tue ich es hingegen doch (was oft genug vorkommt), dann tue ich dies ganz bewusst, um sie zu verletzen.

              Ich habe das Gefühl, mit meiner Frau eine Streitebene zu haben, auf der Kritik und Bedürfnisse in Klarheit und Nachdruck geäußert werden können. Da ist es eigentlich gar nicht notwendig, Verletzungen „vorzuschalten“. Eigentlich.

              „Meine situative Wahrheit“ und das Ausleben der entsprechenden Impulse steht nicht über der Würde des Gegenübers. Die situative Wahrheit des Selbstmordattentäters steht nicht über Würde seiner Opfer. Wer sagt Dir denn, dass nicht eben dieses Ausleben nur ein Nachgeben gegenüber des eigenen Ego-Bedürfnisses ist?

              Es geht mir nicht um irgendwelche Vorstellungen von Ethik oder Moral. Scheiß auf Ethik und Moral. Sondern es geht mir um menschliche Begegnung, die sich aus Empathie speißt!

              Und Empathie, so meine Erfahrung, wächst, je mehr ich mir dieser „Verbundenheit mit dem großen Sein“ – über das ich Dir gestern an anderer Stelle schrieb – bewusst werde.

              Mein Ideal sind folglich keine philosophischen Ideen über Ethik und Moral oder ethisch-moralische Ideale, denen man nachzustreben hat (auch wenn das Freimaurertum viel zu oft an genau diesen Stellen stecken bleibt), sondern durch Empathie geprägte Begegnung. Und diese wächst, je bewusster ich mir meines „Seins“ bin.

              Lieben und gesegneten Gruß!

              Hagen

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              • Lieber Hagen,

                da sind wir doch gar nicht auseinander. Wenn es dir weh tut, deine Frau zu verletzen, was ich sofort nachvollziehen kann, dann wirst du sie nicht verletzen. Es geschieht einfach nicht. Und manchmal willst du verletzen, weil dein Schmerz zu groß ist, dann wirst du auch das tun. Es liegt nicht in deiner Hand. Und ja, natürlich verändert sich da was, je bewusster wahrgenommen wird, was da gerade geschieht. Aber nicht du änderst das, das ändert sich ganz von selbst. Und es kann sein, dass du irgendwann deine Fau und vielleicht auch sonst niemanden mehr verletzen willst, dass es dir einfach unmöglich geworden ist. Ja, Scheiß-Moral! Da bin ich ganz bei dir. Empathie ist eine wunderbare Sache. Nur ist auch sie nicht machbar. Sie wächst mit zunehmender Bewusstheit ganz von selbst.

                Du schreibst: „Die situative Wahrheit des Selbstmordattentäters steht nicht über Würde seiner Opfer. Wer sagt Dir denn, dass nicht eben dieses Ausleben nur ein Nachgeben gegenüber des eigenen Ego-Bedürfnisses ist?“ Jetzt bist du aus meiner Sicht aber doch bei der Moral hängen geblieben. Wenn jemand sein Ego auslebt, dann lebt er sein Ego aus. Auch er hat keine Wahl.Es geschieht einfach, so wie bei dir, wenn du deine Frau verletzen willst. Das ist der Knachpunkt in der Geschichte:Du hast keine Wahl, glaubst aber eine zu haben. DAS ist der Egotrip. Dieser Glaube, eine Wahl zu haben, kreiert eine Ich-Instanz, die es nur in deiner Vorstellung gibt. Du hast keine Wahl, wenn du Empathie empfindest, und du hast keine Wahl, wenn du über deine Empathie hinweg rollst wie ein Panzer und dein Gegenüber platt machst.

                Einen herzlichen Gruß
                Wilhelm

                Gefällt 2 Personen

                • Lieber Nitya,

                  da bin ich ja fast ein wenig erleichtert. 😉 Denn so ein wenig las ich Deine Antworten, als hätte Empathie keinen Platz bei dem, was Du schreibst und vertrittst.

                  Ob ich tatsächlich nie eine Wahl habe? Ob der Glaube, eine Wahl zu haben nur ein Ego-Trip ist? Ich weiß es nicht sicher. Ich finde vieles, was Du über Ethik, Moral und Tugend schreibst, total schlüssig. Und wahrscheinlich haben wir viel weniger eine Wahl, als ich oder so mancher Freimaurer es gerne hätte. Aber dass wir schlicht gar keine Wahl haben, deckt sich nicht mit dem, was ich im Leben bislang erlebt und beobachtet habe. Darüber hinaus habe ich lernen müssen, dass Spannungsfelder so gut wie nie einseitig aufgelöst werden können, sondern in Ausgleich und Einklang gebracht werden müssen. Du löst das Spannungsfeld „ich habe immer die Wahl“ vs. „ich habe nie die Wahl“ einseitig auf. Das empfinde ich als dualistisch (wohl wissend, dass Du auf Deinem Blog, in Deinen Mails und Kommentaren immer nonduale Dinge schreibst).

                  Lieben und herzlichen Gruß !

                  Hagen

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                  • Lieber Hagen,

                    Du schreibst: „Du löst das Spannungsfeld ‚ich habe immer die Wahl‘ vs. ‚ich habe nie die Wahl‘ einseitig auf. Das empfinde ich als dualistisch (wohl wissend, dass Du auf Deinem Blog, in Deinen Mails und Kommentaren immer nonduale Dinge schreibst).“

                    Sprache ist zwangsläufig immer dualistisch. Der Satz „Ich habe keine Wahl“ ist daher nicht nur missverständlich, sondern eine Lüge. „Ich“ ist reine Fiktion. Wie sollte eine Fiktion eine oder keine Wahl haben? So wäre es vielleicht besser gewesen, ich hätte geschrieben: „Wer oder was könnte eine Wahl haben?“ Sokrates soll gesagt haben: „Ein starker Geist diskutiert Ideen. Ein durchschnittlicher Geist diskutiert Ereignisse. Ein schwacher Geist diskutiert Leute.“ Sokrates diskutierte nicht, er liebte es Fragen zu stellen. Die berühmte Hebammenkunst. Vielleicht diskutierte er nicht, weil er wusste dass jede Antwort nur neue Fiktionen erzeugt.

                    Ausgesprochen empathische Grüße
                    Nitya

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              • Lieber Hagen,
                Du gibst Dich meiner Meinung nach einer Strenge hin, die Du von anderen – auch von Freimaurern – nicht zurück erwarten kannst. Ich versuche auch, grundsätzlich empathisch zu leben, aber ich würde es niemals von meinem Gegenüber erwarten. Es ist äußerst schwierig, sich in andere Menschen hinein zu versetzen und für die jeweilige Situation Verständnis aufzubringen. Man muss meistens schon froh sein, wenn sich jemand mit einer Lage auseinander setzt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Kern treffe. Ich bin grundsätzlich sehr einfach gestrickt und wundere mich häufig über die Probleme anderer – bitte richtig verstehen.

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                • „Strenge“? „Anspruch“?

                  Ja, die Befürchtung, die Du äußerst, stieg in mir auch schon auf.

                  Wobei mir Deine diesbezüglichen Formulierungen zu absolut und zu verallegemeinernd sind. Es gibt nicht „die anderen“, sondern immer solche und solche Menschen.

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                  • Selbstverständlich. Und wenn Du Deinen Gegenüber schon ein wenig kennst, kannst Du besser mit seiner Art umgehen. Aber der Kern meiner Aussage bleibt bestehen. Wenn jeder von uns mit sich selbst und seinem Gegenüber nicht ganz so streng vor Gericht geht, würde die Welt ein klein wenig besser aussehen. Vielleicht kommen wir dann doch wieder von ganz alleine auf die Grundwerte Ethik, Moral und für mich auch Toleranz.

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                    • Wie wär’s denn damit, mit sich überhaupt nicht „ins Gericht zu gehen“? Ist „einfach sehen“ nicht genug? Sehen ohne jede Wertung. Sehen ohne Verurteilung. Einfach da sein lassen, was sich uns zeigt – und die Wandlung geschieht ganz von selbst.

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                    • Das wäre wunderbar, aber mir wieder zu einfach. Der Mensch ist von Natur aus dazu gemacht, einzugreifen. Das muss einen Grund haben, sonst wären wir nicht so konzipiert. Wir diskutieren hier nur über die Art des Eingreifens.

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                    • Geht esum einfach oder schwer? Oder geht es nicht vielmehr darum, was wirklich ist und was nur ein Konzept? Ich bestreite, dass der Mensch ist von Natur aus dazu gemacht ist, einzugreifen. Der Mensch lebt nicht als autonome Entität, er wird vom Ganzen gelebt. Dein Herz schlägt ganz von selbst, deine Organe verichten ihre Arbeit, ohne das „du“ da deine Finger im Spiel hättest. Es ist die menschliche Hybris, die sich die Urheberschaft für menschliches Tun und Lassen zuschreibt. Und das ist mein Hauptkritikpunkt an der Freimaurerei, dass sie von dem Konzept der autonomen Entität ausgeht, die fleißig an ihrem rauen Stein rummeißelt, um eine bessere Entität zu werden. Alle Religionen haben das versucht und das Ergebnis sehen wir, wenn wir den Zustand der Welt betrachten.

                      Meinst du etwa,
                      du könntest das Universum
                      ergreifen und es verbessern?
                      Ich glaube nicht, dass du das kannst.
                      Das Universum ist vollkommen,
                      es kann nicht verbessert werden.
                      Es zu verbessern heißt, es zu zerstören.
                      Es zu ergreifen heißt, es zu verlieren.

                      aus dem Tao Te King, Kap. 29

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                    • Die Freimaurerei ist keine Religion, sondern zum Beispiel für mich eine Lebenseinstellung. Wir unterliegen von Natur aus eìner Selbstüberschätzung, ja. Aber warum besitzen wir diese? Das wir zu einem großen Ganzen gehören, sehe ich genauso.

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                    • Ich spreche nicht von Religion. Lao-tse hat absolut nichts mit einer Religion zu tun. Es geht um die Erforschung dessen, ob es dich als eine automnome Entität überhaupt gib, wie du immer geglaubt hast. Was hat das Schlagen des Herzens mit Religion zu tun? Es ist einfach das Wahrnehmen, dass dein Herz ganz aus sich herausschlägt, dass die ganze Natur aus sich heraus wird und vergeht, ein ständiges Kommen und Gehen. Der Glaube an ein Ich ist für mich die Grundlage jeder Religion und insofern ist auch die Freimaurerei für mich eine Religion. Denn dieser Glaube an ein verantwortliches Ich ist die Gundlage auch der Freimaurerei. Ob mit oder ohne Gott, alle beten dieses Ich an. Es ist ein einziger Tanz um das Goldene Kalb. Dieses Ich ist nichts als eine Vorstellung, die auftaucht und verschwindet. Wenn der Geist still ist, verschwindet auch die Ich-Vorstellung.

                      Der ganze EGOismus steht und fällt mit dem Glauben an ein Ich. America first, ich zuerst.

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                    • Ich bin mehr auf Deiner Seite, als es scheint. Ich finde interessant, dass Du zu wissen meinst, was ich immer geglaubt habe. Für mich widerspricht sich das eine mit dem anderen nicht. Natürlich lebt die Natur (und dazu gehören auch wir Menschen) aus sich selbst heraus. Und natürlich sollten wir Menschen uns mal selbst nicht so wichtig nehmen. Wenn das Ich aber nur eine Vorstellung ist, dann frage ich mich trotzdem, warum es diese Vorstellung gibt. Ich selbst habe übrigens noch nie im Leben vorgehabt, irgendetwas zu ändern – schon gar nicht das Weltall. Tatsache ist aber, dass wir seit dem Auerochsen in die Natur eingegriffen haben. Weil wir die Möglichkeit haben und diese instinktiv nutzen. Zum Nachdenken, ob unser Eingreifen wirklich immer so gut ist, war ein weiterer Lernprozess nötig, der wie lange dauerte? Wenn man vom Auerochsen ausgeht: Jahrtausende. Wie gesagt: Für mich schließt das eine das andere nicht aus. Ich finde allerdings Deine Sicht auf die Freimaurerei sehr interessant. Vor allen Dingen der Vergleich mit dem Goldenen Kalb und dem Ich.

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      • Lieber Bruder Hagen,
        ist Dir bekannt, dass von „Mein Kampf“ 2016 eine kommentierte Neuausgabe erschienen ist? Du bringst mit diesem Beispiel genau das zum Ausdruck, was ich Euch als Bibliothekarin die ganze Zeit sagen wollte: Es geht nicht darum, ein Buch zu verfluchen, sondern dieses (wissenschaftlich) aufzuarbeiten. Damit würdet Ihr viel mehr erreichen. Der Weg, der nun eingeschlagen wurde, ist ein sehr einfacher. Aber ob er auch richtig oder besser ist?

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        • Liebe Schwester Inka!

          Es war nie meine Absicht, dieses Buch zu „verfluchen“. Ich hoffe, dies auch nicht getan zu haben.

          Es gibt zwei Dinge an dem Buch, die ich als verletzend empfunden habe und die für viel Streit gesorgt haben: Das FO-Bashing von Bruder Grün sowie seine Wortwahl diesbezüglich. Beides kritisiere ich mit meinem Text.

          Zu seinen grundsätzlichen Thesen bezüglich Humanismus und Gottesglauben sage ich nichts. Zum einen, weil ich zu wenig Ahnung davon habe. Und zum anderen, weil ich mehrfach las, dass sie sehr schlüssig sein sollen.

          Ich wollte mit meinem Text differenzieren und nicht das Kinde mit dem Bade auskippen. Soweit meine Absicht. Ich muss allerdings einräumen, dass mir das nicht ganz gelungen ist…

          Gesegneten geschwisterlichen Gruß!

          Hagen

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  4. Ich lese gerade das Buch ‚Der radikale Mittelweg -Überwindung von Atheismus und Monotheismus‘.
    Die Lösung liegt dort im Theismus, der Verbindung von allem sucht.
    Dort habe ich dich gerade wiedererkannt, im Theismus. 🙂

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  5. Liebe Inka,

    ich meine nicht zu wissen, was du glaubst, ich kann nur lesen, was du in deinen Worten sichtbar werden lässt. Ich schreibe auch „ich“ und „wir“, bin mir aber dabei völlig bewusst, dass dies ausschließlich der Kommunikation dient und keine Wirklichkeit besitzt. Wenn du schreibst „wir Menschen sollten uns nicht so wichtig nehmen“, klingt dieser Satz sehr moralisch und gleichzeitig völlig illusionär. Der menschliche Ego-Geist nimmt sich wichtig. Das ist seine Natur. Er müsste sich schon auflösen, wenn dieses Wichtignehmen verschwinden sollte. Stattdessen „arbeitet er am rauen Stein“ daran, sich nicht mehr wichtig zu nehmen und verstärkt damit nur seine Ego-Struktur. Jetzt wird aus einem ordinären Ego ein spirituelles Ego. Das ist noch viel gefährlicher, weil es die Egostruktur zu verschleiern versucht und sie damit nur festigt.

    Warum gibt es diese Vorstellung, fragst du dich. Da kann ich auch nur spekulieren. Gewahrsein, das sich vom Objekt trennen kann, erschafft eine illusionäre Zweiheit. „Ich sehe dich“ ist ein subtiler Trennungsvorgang. In Wirklichkeit ist der Sehende und das Gesehene und der Vorgang des Sehens eine völlige Einheit. Ich bin du. Du bist nicht meine Schwester oder so etwas, sondern wir sind untrennbar eins. Das wird mystische Schau genannt, und man hat im Westen Leute, die das erleben und darüber gesprochen haben, gerne auf den Scheiterhaufen gestellt. Die Kirche lebt vom Dualismus und die Freimaurerei auch.

    All dies geschieht und die Frage nach dem Warum können wir letztlich nicht beantworten. Wir können nur ein bisschen spekulieren, wenn es uns langweilig wird, aber wir werden nie wissen können. Das macht völlig demütig. Nicht wir sollten demütig werden, wir werden ganz von selbst demütig in Anbetracht all der Wunder, die wir nie begreifen werden. Weil es mir so gut gefällt, hier noch einmal das Gedicht von Rumi:

    Glaubst du, dass ich weiß, was ich tue?
    Dass ich auch nur einen Atemzug lang
    oder einen halben mir selbst gehöre? –
    So wie eine Feder weiß, was sie schreibt,
    oder der Ball ahnen kann, wo er hinrollen wird.

    Einen herzlichen Gruß vom Nitya soll ich dir sagen. 🙂

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    • Vielen Dank für die Grüße.
      Du schreibst, der Mensch wird von alleine demütig. Stimmt. Dafür muss man aber empfänglich sein. Du wirst mir jetzt vermutlich antworten, dass es jeder Mensch von sich aus ist. Je nachdem wie stark seine angenommene autonome Entität ist.
      Interessant finde ich Deine Sichtweise von der Wandlung des ordinären Egos zum spirituellen. Wenn ich an meinem rauen Stein arbeite dann nicht, um mich weniger wichtig zu nehmen. Das tue ich schon von Natur aus nicht. Ich liebe es, über mich selbst zu lachen. Mein Ego kommt nur zum Vorschein, wenn jemand meine Persönlichkeit verändern will. Also schließe ich daraus, dass mein illusionäres Ich nur aus einem Minimum besteht.

      Ich frage mich übrigens, ob wir unseren Austausch nicht lieber an anderer Stelle weiterführen sollten.

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  6. Pingback: Eine Nachlese | hagenunterwegs

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