Neuland

Manchmal schreibt man etwas nieder und merkt erst danach, dass man mit dem Geschriebenen auch ein inneres Thema für sich zu einem Abschluss gebracht hat. Und am Übergang zu einem neuen Abschnitt steht. Mir ging es mit meinem letzten Blog-Artikel „Die Sehnsucht der männlichen Seele“ (https://hagenunterwegs.wordpress.com/2016/01/19/die-sehnsucht-der-maennlichen-seele/) so. Aber alles nacheinander:

Die ersten Menschen, die meinen spirituellen Weg prägten, waren Frauen. Allen voran meine baptistische Mutter. Sie begleiteten meine ersten Schritte hinein in den Glauben an Gott. Und ich durfte lernen, dankbar dafür zu sein.

Doch konnten all diese Frauen eins nicht: Mir zeigen, was es bedeutet, diesen spirituellen Weg als Mann zu gehen. Diese Frauen ließen mich teilhaben an ihren Formen der Spiritualität. Doch konnten diese Formen weder mein Bedürfnis nach einer Spiritualität, die die Themen und Bilder der männlichen Seele erschließt, stillen. Noch konnten sie mir den Zugang zu einem authentischen und kraftvollen Mannsein ermöglichen.

Also machte ich mich auf den Weg. Vielleicht war die Sehnsucht, die mich antrieb, dieselbe, die seit Menschengedenken junge Männer – wie einst Parzival – dazu treibt, den heimischen Schoß ihrer Mütter zu verlassen und sich auf ihre eigene Heldenreise zu begeben. Meine Reise führte mich zu den archaischen Initiationsriten, hinaus in die Natur und schließlich in den christlichen Freimaurerorden.

Doch seit etwa zwei Jahren plötzlich klopft die weibliche Seite der Spiritualität wieder bei mir an. Zunächst noch in einer Weise, die ich kaum wahrnahm.

Es begann mit einem spirituellen Seminar, das ich besuchte und an dem auch Frauen teilnahmen. Das erste Mal nach vielen Jahren wurde ich wieder damit konfrontiert, wie die weibliche Seele Spiritualität erlebt und ausdrückt. Und irgendwie war dies ganz neu für mich. Neu und auch befremdlich. Es zeigte mir, dass ich zwischenzeitlich ein Defizit entwickelt hatte.

In dieselbe Kerbe schlägt die spirituelle Lehre der Kabbala, mit der ich in Berührung gekommen bin. Die Kabbala ist viel zu vielschichtig und umfassend, als dass ich mir anmaßen würde, sie vollständig durchdrungen zu haben. Ein kabbalistisches Prinzip jedoch geht mir besonders nach: Das des Ausgleichs und der Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen. Dieses Prinzip begegnet einem in der Kabbala an den verschiedensten Stellen und in die unterschiedlichsten Bilder gehüllt.

Auf dieses Prinzip bin ich darüber hinaus auch auf meinem Weg durch das Ritual und die Grade des christlichen Freimaurerordens gestoßen.

Eine Erfahrung, die ich auf meinem Weg schon häufiger gemacht habe, ist, dass die Themen, die in meinem Leben als nächstes „dran“ sind, mich finden, sobald die Zeit dafür reif geworden ist. Und so scheint für mich die Zeit der Suche nach den Formen und den Bildern männlicher Spiritualität vorerst vollendet zu sein. Das, was ich auf dieser Suche gefunden und erlernt habe, will nun in den Einklang und in den Ausgleich mit den Formen und Bildern weiblicher Spiritualität gebracht werden. Und als Ganzes in mein Leben integriert werden.

Genau das war es, was mir bewusst wurde, als ich meinen Artikel „Die Sehnsucht der männlichen Seele“ fertiggestellt hatte. Und an genau dieser Schwelle stehe ich jetzt. Und blicke auf Neuland…

4 Gedanken zu “Neuland

  1. Das ist ein sehr schöner Artikel, der genau das beschreibt, was ich so in meinem Freundes- und Freundinnenkreis erlebe. Letztendlich sind wir alle Menschen, die beide Anteile – männlich und weiblich – in sich tragen, auch in uns selbst müssen wir diese Balance zwischen den scheinbaren Gegensätzen, die allerdings untrennbar sind, denn sonst würden sie sich selbst vernichten – immer wieder erhalten. Damit sind auch die Zwischenfarben gemeint, alles, was ist, spielt sich, glaube ich, in diesem Rahmen ab, drückt sich auf vielfältigste und berechtigste Weise aus. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch keine Schneeflocke einer anderen wirklich gleicht, so ähnlich sie sich auch sein mögen. So ist das auch mit uns Menschenwesen. Und manchmal wirkt der eine oder die andere ziemlich fremd – egal, wir haben alle Herzen, und so lange dieses zu Liebe fähig ist, sollte das Anderssein kein Hinderniss, das Fremde kennen lernen zu wollen.

    Einen herzlichen Gruß!

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    • Vielen lieben Dank für Deinen lieben Kommentar!

      Ich glaube mittlerweile auch, dass ein Jegliches seine Zeit hat. Erst das Kennenlernen der Gegensätze und dann das Zusammenführen und Ausgleichen dieser Gegensätze.

      Denn bleibt man ewig nur in Schwarz-oder-Weiß-Entweder-Oder-Kategorien verhaftet, entwickelt man niemals einen Blick für die bunten Facetten, die dazwischen liegen.

      Einen herzlichen Gruß zurück!

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  2. ein sehr schöner Beitrag. Herzlichen Dank.
    Ich möchte hinzufügen, mich, als Frau,
    berührte vor vielen Jahren zu diesem Thema das Buch von Frank Fiess,
    „Du bist der Mann Deines Lebens“, in dem es zwar nicht ausschließlich um die
    männl. Spiritualität geht, aber durchaus um die weibliche Seite des Mannes.
    mit lb Gruss

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